Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewaltopferentschädigung. minderjähriges Gewaltopfer. verspätete Antragstellung. Zurechenbarkeit des Verschuldens des gesetzlichen Vertreters. Interessenkonflikt
Orientierungssatz
Die verspätete Antragstellung des allein sorgeberechtigten gesetzlichen Vertreters, ist dem handlungsunfähigen, minderjährigen Gewaltopfer nicht als Verschulden zuzurechnen, wenn sich der gesetzliche Vertreter in einer Konfliktsituation befunden hat, die er zu Lasten des geschädigten Kindes gelöst hat.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 21.04.2008 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 21.04.2008 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Beginn von Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i.V.m. mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der am 00.00.1998 geborene Kläger wurde am 22.09.1998 als Säugling von seinem Vater B schwer geschädigt, als dieser versuchte, ihn zu ersticken, indem er ihn in einen großen blauen Müllsack legte, diesen dann fest zuknotete und ihn im Kinderwagen unter anderen Bettsachen versteckte. Als der Kläger gefunden wurde, war er bereits klinisch tot; er konnte in der Folgezeit wiederbelebt werden. Beim Kläger entstand als gesundheitliche Schädigung ein hypoxischer Hirnschaden, eine linksbetonte Spastik, geistige Behinderung sowie Blasen- und Darminkontinenz. Das Landgericht (LG) Köln verurteilte den B mit Urteil vom 24.03.1999 (BGH, Beschluss vom 19.11.1999, 2 StR 383/99) wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten. Auf die beigezogenen Strafakten mit der Geschäfts-Nr. 000 und insbesondere die Darlegungen in dem Urteil vom 24.03.1999 wird Bezug genommen.
Vor der Tat lebte der Kläger seit Anfang Juli 1998 mit seiner Mutter O C und dem Vater in einer gemeinsamen Wohnung. Wegen erheblicher Spannungen in der Beziehung war O C Anfang September 1998 zurück zu ihrer Mutter in die elterliche Wohnung gezogen. In der Folgezeit trafen sich O C und der B noch einige Male in der alten und auch in ihrer neuen Wohnung.
Nach der Gewalttat vom 22.09.1998 besuchte die Mutter des Klägers den B beginnend ab dem 22.04.1999 während der Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt (JVA) L und machte von der Besuchsmöglichkeit anschließend regen Gebrauch. B wurde in der Folgezeit zum Langzeitbesuch (Zeitraum von drei Stunden unkontrolliert) mit O C in den JVA B und H zugelassen. In den Unterlagen der JVA H wird O C als Verlobte des B geführt. In dem Bericht des Psychologen der JVA H vom 24.10.2001 heißt es: "B erhält regelmäßig Besuch von seiner Verlobten und dem gemeinsamen Kind. Auch die Möglichkeit des Langzeitbesuchs und alle weiteren Besuchsmöglichkeiten werden regelmäßig wahrgenommen und darüber hinaus schreibt man täglich Briefe. Die Beziehung zur Verlobten wird als sehr intensiv beschrieben. Trotz der großen Entfernung, die Verlobte lebt in H, tausche man sich offener und vertrauensvoller aus, als man es früher konnte und habe so das Gefühl, sich sehr nahe zu sein." Weiter heißt es: "Nach der Haftentlassung plant B, zu seiner Verlobten nach H zu ziehen und später zu heiraten." B wurde am 10.04.2004 erstmals zu O C und dem Kläger nach H ausgeführt. Im Rahmen eines am 02.09.2004 stattgefundenen Langzeitbesuchs beendete O C die Beziehung zu B. Im Einzelnen wird auf die Schreiben der JVA B vom 10.04.2007 und vom 30.11.2007 nebst zu den Akten genommenen Anlagen Bezug genommen.
O C beantragte am 23.02.2000 bei der AOK - Pflegekasse - Pflegegeld nach dem Sozialgesetzbuch, Elftes Buch (SGB XI). Nach Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Nordrhein (MdK) am 17.05.2000 bewilligte die Pflegekasse dem Kläger ab 01.03.2000 Pflegegeld nach Pflegestufe I. Am 18.09.2001 beantragte O C für ihren Sohn die Feststellung einer Behinderung nach dem Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX). Das Versorgungsamt L stellte mit Bescheid vom 07.11.2001 den Grad der Behinderung (GdB) mit 70 und die Merkzeichen G und B fest.
Auf eindringliche Zurede der Versorgungsverwaltung beantragte O C am 20.09.2004 für ihren Sohn auch Versorgung nach dem OEG. Hierzu heißt es in einer im Aktendeckel eingehefteten, nicht unterzeichneten und undatierten Aktennotiz: "Die Antragstellung nach dem OEG erfolgte auf Anregung der SchwerbR Gruppe. Mir hat Frau B in einem Telefongespräch erklärt, dass sie zwar im Strafverfahren vom Richter aufgeklärt wurde, dass Ansprüche nach dem OEG bestehen, sie aber keinen Antrag stellen wollte - aus Rücksicht auf Täter? - (vgl. auch Aktenvermerk von Frau H vom 06.11.2006). Das Versorgungsamt wertete die Strafakten aus und zog die Pflegegutachten sowie die bisherigen Krankenunterlagen bei. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin für Nervenheilkunde Dr. ...