Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung der Rentner - Befreiung von der Versicherungspflicht, wenn unmittelbar vorher Versicherungspflicht aus anderen Gründen bestand - Bezug einer Witwenpension. Anwartschaftsversicherung in der PKV. anderweitige Absicherung im Krankheitsfall in Form eines Beihilfeanspruchs
Orientierungssatz
Zum Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner für Versicherte, bei denen unmittelbar vor Eintritt des Befreiungstatbestands bereits eine Versicherungspflicht aus einem anderen Grund bestanden hat, die aber irgendwann einmal privat krankenversichert waren und über eine private Anwartschaftsversicherung verfügen (Abweichung von BSG vom 27.4.2016 - B 12 KR 24/14 R = SozR 4-2500 § 8 Nr 4).
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16.4.2019 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 1.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.2.2018 verpflichtet, die Klägerin ab dem 1.11.2017 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu befreien. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).
Die am 00.00.1953 geborene Klägerin war zunächst über ihren Ehemann beihilfeberechtigt (70%). Hinsichtlich der verbleibenden 30% schloss die Klägerin ab dem 1.1.1992 bei dem E. VVaG eine Anwartschaftsversicherung zur Absicherung der nicht von der Beihilfe abgedeckten Kosten im Alter und zahlte hierfür regelmäßig Beiträge (insgesamt 6.409,10 EUR).
Die Klägerin nahm ab 1992 eine versicherungspflichtige Halbtagsbeschäftigung auf und war gesetzlich krankenversichert, ab dem 1.10.2011 über die Beklagte. Seit dem Tod ihres Ehemanns im April 2014 bezieht die Klägerin eine Witwenpension i.H.v. 1.983,12 EUR. Der Arbeitgeber meldete die Klägerin am 10.10.2017 zum 31.10.2017 wegen des Endes des Beschäftigungsverhältnisses von der Sozialversicherung ab. Von der Deutschen Rentenversicherung bezieht die Klägerin seit dem 1.11.2017 eine Bruttorente i.H.v. 947,59 EUR (netto: 856,86 EUR).
Die Klägerin beantragte am 8.10.2017 bei der Beklagten zum 1.11.2017 die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht nach §§ 6 und 8 SGB V. Sie legte Bescheinigungen über ihre Beihilfeberechtigung und den Abschluss der substitutiven Krankenversicherung ab dem 1.11.2017 bei dem E. VVaG vor.
Mit Bescheid vom 1.11.2017 teilte die Beklagte der Klägerin mit, eine Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht sei ausgeschlossen, da unmittelbar vor Renteneintritt ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden habe. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sich am 4.2.2016 bei der Beklagten über die Befreiungsmöglichkeiten von der Krankenversicherungspflicht informiert zu haben. Dabei habe man ihr bestätigt, dass eine Befreiung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V innerhalb von drei Monaten nach Rentenbeginn möglich sei.
Nachdem die Beklagte im Schreiben vom 7.11.2017 ihr Bedauern über eine solche Auskunft zum Ausdruck gebracht hatte, wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.2.2018 als unbegründet zurück. Grundlage ihrer Entscheidung sei das Urteil des Bundessozialgerichts vom 27.4.2016 (B 12 KR 24/14 R). Im Übrigen könne aus einer etwaigen telefonischen Fehlinformation kein Anspruch auf eine positive Entscheidung abgeleitet werden (Urteil des BSG vom 22.2.1980 - 12 RK 34/79).
Mit ihrer am 8.3.2018 erhobenen Klage hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass das BSG in der Entscheidung vom 27.4.2016 (aaO) unter Rn. 25 eine Öffnungsmöglichkeit für einen Wechsel in die private Krankenversicherung gesehen habe. Anders als in dem vom BSG zu entscheidenden Fall erfülle sie die Voraussetzungen für eine Ausnahmeentscheidung. Sie habe über 26 Jahre eine Anwartschaft für einen Wechsel in die Krankenvollversicherung erarbeitet und einen eigenen privaten Krankenversicherungsvertrag abgeschlossen. Seit dem Bezug der Witwenrente verfüge sie über eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall in Form des Beihilfeanspruchs. Auch für die Beklagte sei ihre Befreiung von der Versicherungspflicht wirtschaftlich sinnvoll. Die Klägerin hat eine Bescheinigung des E. VVaG über die Anwartschaftsversicherung vorgelegt.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 1.11.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.2.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie ab dem 1.11.2017 von der gesetzlichen Krankenversicherung zu befrei- en.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihre bisherigen Ausführungen im Verwaltungsverfahren Bezug genommen und ergänzt, das BSG habe in der zitierten Entscheidung zwar darauf hingewiesen, dass Versicherte typischerweise von einer auf die Versicherung als Beschäftigter unmittelbar folgenden und für sie günstigeren Mitgliedschaft in der KVd...