Entscheidungsstichwort (Thema)

Kinderzuschlag. Leistungsausschluss. Erwerbsunfähigkeit beider Elternteile. Kinder noch vor Vollendung des 15. Lebensjahres. keine Vermeidung von Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB 2 wegen fehlender Leistungsberechtigung. keine abweichende Bewertung aufgrund der Gesetzesänderungen durch das StaFamG. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Der Anspruch auf Kinderzuschlag setzt gemäß § 6a Abs 1 Nr 4 BKGG in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung voraus, dass durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB 2 vermieden wird. Diese Bestimmung erfordert eine fiktive Prüfung eines SGB 2-Leistungsanspruchs unter Außerachtlassung des Kinderzuschlags. Personen, die dem Grunde nach keinen Zugang zu Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 haben, können auch keinen Kinderzuschlag beanspruchen (hier: Personengemeinschaft von erwerbsunfähigen Eltern und Kindern, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben).

2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Umformulierung der Bezugsnorm zum SGB 2 durch das Gesetz zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und Teilhabe - Starke-Familien-Gesetz (StaFamG) vom 28.4.2019 ab dem 1.1.2020.

3. Auch die Einfügung von § 6a Abs 1a BKGG ab dem 1.1.2020 durch das StaFamG führt nicht zu einer abweichenden Bewertung.

4. Der Ausschluss von Personen, die auch in einer Personengemeinschaft keinen Zugang zu Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 haben, vom Kinderzuschlag ist nicht verfassungswidrig.

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 04.04.2024; Aktenzeichen 1 BvR 2281/22)

BSG (Urteil vom 13.07.2022; Aktenzeichen B 7/14 KG 1/21 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 06.02.2019 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Kinderzuschlag nach § 6a BKGG ab Februar 2018.

Die am 00.00.1992 geborene Klägerin ist mit dem am 00.00.1975 geborenen N N1 verheiratet und lebt mit diesem in einem Haushalt. Die Klägerin ist die Mutter der ebenfalls in dem gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder E N1 (geb. 00.00.2012), N2 G (geb. 00.00.2013) und N3 N1 (geb. 00.00.2019). Vater der Kinder E und N3 ist N N1, N2 hat einen anderen Vater. Die Kinder verfügen nicht über Einkommen oder Vermögen. Die Klägerin erhält für die Kinder Kindergeld und sie bezieht Wohngeld als Mietzuschuss für die von der Familie bewohnte Mietwohnung.

Die Klägerin ist seit Juni 2016 voll erwerbsgemindert iSd § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI und bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Ehemann ist seit Juli 2016 ebenfalls voll erwerbsgemindert iSd § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI und bezieht ebenfalls eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Zuletzt wurde die Rentenbewilligung für die Klägerin bis zum 30.06.2022 (Bescheid der DRV Knappschaft-Bahn-See vom 19.06.2019) und für den Ehemann bis zum 31.03.2023 (Bescheid der DRV vom 11.12.2019) verlängert. Bei der Beantragung des Kinderzuschlags im August 2017 gab die Klägerin den Rentenbezug unter Beifügung von Auszügen aus den jeweiligen Rentenbescheiden an.

Mit Bescheid vom 02.10.2017 und Änderungsbescheid vom 28.12.2017 bewilligte die Beklagte der Klägerin (ungeachtet des Rentenbezugs) für die Kinder E und N2 Kinderzuschlag von August 2017 bis Januar 2018.

Auf den Weiterbewilligungsantrag der Klägerin vom 12.01.2018 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 31.01.2018 die Bewilligung von Kinderzuschlag ab Februar 2018 ab. Ein Anspruch bestehe gem. § 6a Abs. 1 Nr. 4 BKGG nur, wenn dadurch Hilfebedürftigkeit iSd SGB II vermieden werden könne. Da beide Elternteile nicht erwerbsfähig seien und keines der beiden Kinder das 15. Lebensjahr vollendet habe, sei kein Familienmitglied leistungsberechtigt iSd SGB II, weshalb auch kein Anspruch auf Kinderzuschlag bestehe.

Hiergegen legte die Klägerin am 13.02.2018 Widerspruch ein. Mit dem Kinderzuschlag werde Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII vermieden. Der Kinderzuschlag sei ihr bewilligt worden, obwohl ihre Erwerbsunfähigkeit und die ihres Ehemannes schon feststand. Deshalb bestehe auch weiterhin ein entsprechender Anspruch.

Mit Bescheid vom 02.03.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ein Anspruch auf Kinderzuschlag bestehe nicht, da gem. § 7 SGB II wegen der vollen Erwerbsminderung der Eltern und des Alters der Kinder weder die Eltern noch die Kinder einen Zugang zu einem Leistungsanspruch nach dem SGB II hätten.

Am 20.03.2018 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hält den Ausschluss von Personen von einem Anspruch auf Kinderzuschlag allein wegen einer vollen Erwerbsminderung und des Alters der Kinder für verfassungswidrig. Für eine solche Differenzierung bestehe kein rechtfertigender Grund. Es sei bei dieser Rechtsauffassung allein von Zufällen abhängig, ob ein Anspruch auf Kinderzuschlag bestehe oder nicht. Aus de...

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