Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe für Deutsche im Ausland. Antragserfordernis. keine Leistungen für die Vergangenheit. Leistungsausschluss. Ausnahme. Vorliegen einer außergewöhnlichen Notlage. Unmöglichkeit einer Rückkehr ins Inland. Schwere der Pflegebedürftigkeit

 

Orientierungssatz

1. Sieht § 24 Abs 4 S 1 SGB 12 vor, dass Leistungen für Deutsche im Ausland einen Antrag erfordern, so kommt die Gewährung solcher Leistungen für die Vergangenheit nicht in Betracht. Diese können vielmehr erst ab dem Zeitpunkt der Antragstellung erbracht werden. Denn die Sozialhilfe dient dazu, eine gegenwärtige Notlage zu beheben. Notlagen aus einer Zeit vor Antragstellung sind sozialhilferechtlich unbeachtlich, sofern sie im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung nicht mehr bestehen, der Bedarf des Hilfebedürftigen also schon gedeckt ist.

2. Eine Notlage ist eine Situation besonderer Bedrängnis, in welcher der Betroffene dringend Hilfe benötigt. Die Notlage ist außergewöhnlich, wenn existenzielle Rechtsgüter in erheblicher Weise betroffen sind bzw eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung existenzieller Rechtsgüter droht. Sie ist nur anzunehmen, wenn überragende Grundrechte, insbesondere das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und/oder die Grundvoraussetzungen einer menschenwürdigen Existenz, betroffen sind (vgl LSG München vom 8.9.2009 - L 18 SO 119/09 B ER = FEVS 61, 407 und LSG Stuttgart vom 25.2.2010 - L 7 SO 5106/07 = ZFSH/SGB 2010, 353).

3. Die Schwere der Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 24 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 12 steht einer Rückkehr nach Deutschland entgegen, wenn die Rückkehr nicht ohne Gefahr für Leib und Leben des Betroffenen möglich ist. Dies beurteilt sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles. Eine Rückkehr ist nur dann unmöglich, wenn die Art bzw das Ausmaß der erforderlichen Pflege eine Rückreise nicht zulässt (vgl LSG München vom 8.9.2009 - L 18 SO 119/09 B ER aaO und LSG Chemnitz vom 29.11.2010 - L 7 SO 80/10 B ER = ZFSH/SGB 2011, 230).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 21.09.2017; Aktenzeichen B 8 SO 5/16 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 20.07.2011 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Übernahme von Kosten für zahnärztliche und kieferorthopädische Behandlungen, welche die in Spanien wohnhaften Klägerinnen dort in Anspruch genommen haben.

Die Klägerin zu 1 (geb. 1973) ist die Mutter der Klägerin zu 2 (geb. Oktober 1992). Die Klägerin zu 1 lebt mit ihrem 1947 in E geborenen Ehemann und Bevollmächtigten sowie einer weiteren, gemeinsamen Tochter (geb. August 2002) seit 2005 dauerhaft in Spanien. Die Familie - sämtlich deutsche Staatsangehörige - hielt sich dort zunächst und auch in dem hier streitbefangenen Zeitraum in T (Ibiza) auf.

Die Klägerin zu 1 leidet an Epilepsie mit täglichen mehrfachen Grand-Mal Anfällen sowie Absencen, einem Gehirntumor und psychischen Störungen. Seit August 1995 sind bei ihr ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen "G", "H", "RF" und "B" festgestellt. Sie bezieht seit August 2001 ein Pflegegeld aus der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III und wird von ihrem Ehemann gepflegt. Seit Juni 2007 erhält sie eine Rente wegen Erwerbsminderung (Stand Juli 2008: 588,70 EUR). Aufgrund des Rentenbezugs ist sie bei der Beigeladenen gesetzlich krankenversichert. Vom 01.07.2007 bis zum 13.11.2012 war sie über die INSS Palma de Mallorca zum Zwecke der Gesundheitsvorsorge im spanischen Sozialversicherungssystem als in Deutschland Versicherte eingetragen und beim spanischen Krankenversicherungsträger zu Lasten der Beigeladenen sachleistungsberechtigt.

Die Klägerin zu 2 war u.a. in der Zeit vom 27.06.2006 bis zum 30.09.2010 über die Klägerin zu 1 familienversichert. Die Sachleistungsaushilfe durch den spanischen Sozialversicherungsträger wurde für die Klägerin zu 2 bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland (am 03.11.2010) ebenfalls über die INSS Palma de Mallorca sichergestellt.

Der Ehemann der Klägerin zu 1 bezieht aufgrund eines rückwirkenden Bescheides der Deutschen Rentenversicherung Rheinland vom 20.09.2011 ab Januar 2010 eine vorgezogene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit (Stand Februar 2014: 422,00 EUR). Für die gemeinsame Tochter wurde Kindergeld gezahlt (164,00 EUR).

Der Beklagte gewährte der gesamten Familie in der Zeit von Januar 2007 bis Oktober 2010 Sozialhilfe für Deutsche im Ausland gemäß § 24 SGB XII. Dabei ging er davon aus, dass ein Rücktransport der Klägerin zu 1 nach Deutschland aus medizinischen Gründen nicht möglich und die Voraussetzungen des § 24 SGB XII daher für die gesamte Familie erfüllt seien. Die Leistungseinstellung zum 01.11.2010 stützte der Beklagte darauf, dass die Familie nunmehr über einen Zeitraum von fünf Jahren in Spanien lebe und daher nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) vom spanischen Staat Leistungen beanspruchen könne. ...

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