Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten. Unzulässigkeit eines Grundlagenbescheids. verhaltensbedingte Kündigung eines geförderten Ausbildungsverhältnisses
Orientierungssatz
1. Ein Grundsicherungsträger ist auf der Grundlage von § 34 SGB 2 nicht befugt, einen Feststellungsbescheid über die Ersatzpflicht lediglich dem Grunde nach zu erteilen.
2. Die bloße Bejahung einer Pflichtverletzung im Sinne des § 31 SGB 2 reicht nicht aus, um eine Sozialwidrigkeit des Verhaltens im Sinne des § 34 SGB 2 zu begründen. Eine entsprechende Sozialwidrigkeit setzt ein Verhalten voraus, das über die Pflichtverletzungen nach § 31 SGB 2 hinausgeht und nur unter Berücksichtigung strenger Maßstäbe anzunehmen ist.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 23.05.2017 geändert. Der Bescheid vom 05.01.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2016 sowie der Bescheid vom 14.04.2016 werden aufgehoben.
Der Beklagte hat die Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II.
Der am 00.00.1990 geborene Kläger absolvierte ab dem 21.10.2014 eine geförderte zweijährige außerbetriebliche Berufsausbildung zum Fachlageristen bei der H. W. Institut für berufliche Bildung GmbH & Co. KG. Die Ausbildung besteht aus einem theoretischen Anteil, der im Ausbildungsinstitut stattfindet, Praktika in Betrieben sowie Berufsschulunterricht und mündet in einer IHK-Abschlussprüfung. Die regelmäßige Ausbildungszeit betrug täglich acht und wöchentlich 40 Stunden, die vereinbarte Vergütung monatlich 316 EUR brutto im ersten und 331,80 EUR brutto im zweiten Lehrjahr. Der Kläger war verpflichtet, an der Ausbildung teilzunehmen und im Falle einer Erkrankung spätestens am dritten Werktag eine Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit ab deren Beginn vorzulegen. Der Maßnahmeträger wies den Kläger darauf hin, dass eine Abmahnung erfolgt, sofern ein Teilnehmer drei Tage ohne wichtigen Grund und ohne Zustimmung des Trägers von der Maßnahme fern bleibt und nach zweimaliger Abmahnung wegen unentschuldigter Fehlzeiten eine fristlose Kündigung ausgesprochen wird.
Der Kläger fehlte unentschuldigt am 24.03.2015 und 25.03.2015, vom 13.04.2015 bis zum 15.04.2015 und vom 20.04.2015 bis zum 23.04.2015. Mit Schreiben vom 27.04.2015 mahnte der Maßnahmeträger den Kläger deshalb erstmals ab. Der Kläger wurde aufgefordert, sein Verhalten umgehend zu ändern, im Krankheitsfall um acht Uhr im Institut anzurufen, sich abzumelden und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung spätestens am dritten Arbeitstag vorzulegen. Im Wiederholungsfall werde die Kündigung ausgesprochen. Der Kläger fehlte erneut unentschuldigt am 11.05.2015, 18.05.2015 und 19.05.2015. Mit Schreiben vom 22.05.2015 mahnte der Träger den Kläger ab und wies erneut auf eine Kündigung im Wiederholungsfall hin. Der Kläger fehlte wieder unentschuldigt am 08.06.2015, 09.06.2015 und 16.06.2015. Mit Schreiben vom 19.06.2015 kündigte der Träger daraufhin das Ausbildungsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung.
Am 25.06.2015 beantragte der Kläger beim Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Kosten der Unterkunft machte er nicht geltend, weil er noch bei seinen Eltern wohnte. Der Beklagte belehrte den Kläger über eine mögliche Ersatzpflicht nach § 34 SGB II. Der Kläger erklärte, gleichwohl Leistungen zu beanspruchen.
Mit Bescheid vom 28.07.2015 stellte der Beklagte eine Minderung des Arbeitslosengeldes II des Klägers iHv 30 Prozent des Regelbedarfs (119,70 EUR) vom 01.07.2015 bis zum 19.09.2015 fest. Er stützte die Sanktion auf § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II. Mit Bescheid vom 28.07.2015 bewilligte der Beklagte dem Kläger unter Berücksichtigung der Sanktion den Regelbedarf für Juli 2015 und August 2015 iHv 279,30 EUR, für September 2015 iHv 323,19 EUR und für Oktober 2015 bis Dezember 2015 iHv monatlich 399 EUR.
Mit Schreiben ebenfalls vom 28.07.2015 hörte der Beklagte den Kläger im Hinblick auf die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs an. Der Kläger habe seine Hilfebedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt. Damit sei er gemäß § 34 Abs. 1 SGB II zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. Er gab dem Kläger Gelegenheit, sich bis zum 17.08.2015 zu dem Sachverhalt zu äußern. Der Kläger reagierte auf dieses Schreiben nicht.
Mit Bescheid vom 05.01.2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger den Regelbedarf für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis zum 31.10.2016.
Mit Bescheid vom 05.01.2016 stellte der Beklagte unter der Überschrift "Bescheid über die Ersatzpflicht der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 34 SGB II" und unter Bezugnahme auf den Bewilligungsbescheid vom 28.07.2015 eine Ersatzpflicht des Klägers wegen der aufgrund der Kündigung des Ausbildungsverhältnisses gezahlten Leistungen fest. D...