Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. kein Leistungsausschluss für Ausländer in den ersten drei Monaten des Aufenthalts bei Ehegattennachzug. verfassungskonforme Auslegung

 

Orientierungssatz

Von dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2 werden Ausländer, die als Ehegatte eines deutschen Staatsangehörigen diesem in die Bundesrepublik nachziehen, nicht erfasst.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 30.01.2013; Aktenzeichen B 4 AS 37/12 R)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 04.02.2011 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 14.02. bis 02.05.2010.

Der am 1983 geborene Kläger ist algerischer Staatsangehöriger. Am 00.00.2009 heiratete er die 1970 geborene deutsche Staatsangehörige Frau L, in Algerien. Mit Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde der Stadt L reiste der Kläger am 14.02.2010 in die Bundesrepublik ein und zog zu seiner schwangeren Ehefrau. Zuvor hatte die Ausländerbehörde der Stadt L am 08.02.2010 dem Antrag des Klägers auf Erteilung eines Visums nach § 31 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Zuwanderungsgesetzes i.V.m. § 6 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zwecks Familienzusammenführung nach § 28 AufenthG zugestimmt. Nach der Einreise beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Die Ausländerbehörde der Stadt L erteilte dem Kläger am 09.03.2010 eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthaltsG mit dem Zusatz "Erwerbstätigkeit gestattet". Am 18.04.2011 wurde dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 7 AufenthG i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG mit den Zusätzen " Erwerbstätigkeit ist erlaubt" und "Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs" erteilt. Der Kläger nahm am 03.05.2011 eine Tätigkeit bei der Firma B GmbH auf. Das Arbeitsentgelt für Mai 2010 wurde am 20.06.2010 auf das Konto des Klägers gutgeschrieben.

Seit dem 01.01.2005 bezog Frau L zusammen mit ihrer am 2003 geborenen Tochter T Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Im Jahr 2010 erhielt Frau L Kindergeld in Höhe von 184,- EUR mtl ... Durch Bescheid vom 01.02.2010 bewilligte die Rechtsvorgängerin des Beklagten (nachfolgend einheitlich: Beklagter) der Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus Frau L und ihrer Tochter T, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für Februar 2010 in Höhe von 990,- EUR (359,- EUR Regelleistung + 52,- EUR Mehrbedarf wegen Alleinerziehung, 87,- EUR Sozialgeld + 492,- EUR Kosten für Unterkunft und Heizung) sowie für die Zeit vom 01.03. bis 31.07.2010 in Höhe von 991,- EUR (359,- EUR Regelleistung + 53,- EUR Mehrbedarf wegen Alleinerziehung + 87,- EUR Sozialgeld + 492,- EUR Kosten für Unterkunft und Heizung).

Bei einer Vorsprache am 12.02.2010 nannte der Beklagte Frau L einen Termin für die Annahme des Neuantrages ihres Ehemannes. Am 23.02.2010 sprach Frau L zusammen mit ihrem Ehemann vor und legte eine Kopie der Anmeldebestätigung des Klägers zum 14.02.2010 unter der Adresse von Frau L vor. Durch Bescheid vom 15.04.2010 hob der Beklagte die Entscheidungen vom 18.06.2009 und 01.02.2010 über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01.2010 bis 30.04.2010 an Frau L und ihrem Kind T teilweise in Höhe von insgesamt 703,79 EUR auf. Zur Begründung führte er aus, dass sich ab Januar 2010 das Kindergeld um 20,- EUR mtl. erhöht habe. Ab dem Zuzug des Klägers am 14.02.2010 stünden Frau L und ihrer Tochter T als Kosten der Unterkunft und Heizung nur noch 2/3 der Miete zu. Hiergegen legte Frau L Widerspruch ein, dem der Beklagte abhalf.

Mit Bescheid vom 23.04.2010, adressiert an Frau L, lehnte der Beklagte den Antrag auf Aufnahme des Klägers in die Bedarfsgemeinschaft unter Berufung auf § 7 SGB II i.V.m. § 28 AufenthG ab. Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen lägen nicht vor. Der Kläger habe für die ersten drei Monate nach Zuzug aus dem Ausland keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

Hiergegen legte u. a. der Kläger Widerspruch ein. Er vertrat die Auffassung, dass er vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz. 2 SGB II nicht erfasst sei. Diese Regelung sei nicht auf Ausländer zugeschnitten, die als Familienangehörige eines Deutschen in die Bundesrepublik einreisten. Die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II bezwecke lediglich sicherzustellen, dass EU-Bürger und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten keine Ansprüche nach dem SGB II geltend machen könnten. Ausländer, die zu einem sich im Bundesgebiet länger aufhaltenden aufenthaltsberechtigten Ausländer einreisten, seien von dem Ausschluss nicht erfasst. Ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung gegenüber Antragstellern, die als EU-Bürger zur Herstellung der familiären Lebens...

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