Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander. Anspruch des nachrangig verpflichteten Jugendhilfeträgers gegen den vorrangig verpflichteten Sozialhilfeträger. Ausschlussfrist des § 111 SGB 10. Begriff der Leistung. - siehe dazu anhängiges Verfahren beim BSG: B 8 SO 11/17 R

 

Orientierungssatz

1. Bei dem Erstattungsbegehren eines Jugendhilfeträgers gegen den Sozialhilfeträger ist bei § 111 S 1 SGB 10 ein jugendhilferechtlich geprägter Leistungsbegriff nach dem SGB 8 zugrunde zu legen.

2. Unter Heranziehung der Rechtsprechung des BVerwG handelt es sich bei der Unterbringung des Leistungsempfängers um eine einzige einheitliche - und nicht eine monatsweise zu betrachtende - Gesamtleistung.

 

Normenkette

SGB X § 104 Abs. 1, 3, § 103 Abs. 1, §§ 107, 111 Sätze 1-2, § 113 Abs. 1-2; SGB VIII § 10 Abs. 4 Sätze 1-2, § 27 Abs. 1, 2 S. 1, § 34 S. 1, § 36 Abs. 2 S. 2, § 69 Abs. 1, § 89d; SGB IX § 2 Abs. 1 S. 1, § 55 Abs. 2 Nr. 6; SGB XII § 13 Abs. 2, § 53 Abs. 1 S. 1, §§ 54, 97 Abs. 1, 2 S. 1, § 98 Abs. 1 S. 1; SGB II § 41 Abs. 1; SGB III § 154; SGB IV § 64; BGB § 362 Abs. 1; EinglhVO § 1 Nr. 5; AG-KJHG NW § 2; Verordnung über die Bestimmung Großer kreisangehöriger Städte und Mittlerer kreisangehöriger Städte zu örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe (NRW) § 1; AV-SGB XII NW § 2 Abs. 1 Nr. 1a; AG-SGB XII NW a.F. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1a; SGG § 54 Abs. 5, § 75 Abs. 2, §§ 87, 197a; VwGO §§ 154, 155 Abs. 2; GKG §§ 40, 52 Abs. 1, 3, § 63 Abs. 3 S. 1

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.04.2019; Aktenzeichen B 8 SO 11/17 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird der Tenor des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 16.06.2015 klarstellend neu gefasst: Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die in Sachen L im Zeitraum vom 01.07.2009 bis zum 31.12.2010 entstandenen Aufwendungen in Höhe von 108.473,72 EUR zu erstatten. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Beklagte zu neun Zehnteln und die Klägerin zu einem Zehntel.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird für das Klageverfahren und für das Berufungsverfahren jeweils auf 117.823,73 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob die Klägerin als Jugendhilfeträger vom beklagten Landschaftsverband die Erstattung von Leistungen i.H.v. 108.473,72 EUR verlangen kann, die sie im Zeitraum vom 01.07.2009 bis 31.12.2010 für die Unterbringung des L aufgewandt hat.

Der am 00.00.1998 geborene L (im Folgenden: Leistungsberechtigter) leidet seit frühester Kindheit unter hochgradiger Schwerhörigkeit. Seit dem 20.10.1999 sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 wegen Taubheit sowie die Merkzeichen G, B, H und RF festgestellt (Bescheid des Versorgungsamtes T vom 18.02.2000), außerdem wurden ihm durch die Beklagte Hilfen für Gehörlose nach dem nordrhein-westfälischen Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose (GHBG) gewährt (Bescheid vom 01.03.2000). Inzwischen ist er rechts mit einem Cochlea-Implantat versorgt. Zur Kommunikation bedient er sich der Gebärdensprache.

Die Eltern des Leistungsberechtigten sind seit Jahren geschieden, üben jedoch das Sorgerecht gemeinsam aus. Zwischen ihnen bestanden nach der Trennung erhebliche Spannungen, so dass eine Kommunikation nicht mehr stattfand. Von der Klägerin wurden aus diesem Grunde schon 2007/2008 ambulante Beratungen zu Fragen der Erziehung und zur Vermittlung der Gesprächsbereitschaft zwischen den Eltern durchgeführt. Der Leistungsberechtigte besuchte ab 2004 zunächst die Schwerhörigenschule in C und wechselte dann auf ein Internat in E, wo er in der Woche wohnte; am Wochenende hielt er sich bei seiner Mutter in J auf, wo auch weiterhin sein Wohnsitz war. Diese Gesamtsituation führte ab ca. 2008 dazu, dass insbesondere zwischen dem Leistungsberechtigten und seiner Mutter erhebliche Schwierigkeiten entstanden, bei denen es auch zu Polizeieinsätzen kam. Da ein Umzug zum Vater nicht möglich war, kam man bei der Beklagten nach interner Beurteilung im Mai 2009 zu dem Ergebnis, der Leistungsberechtigte solle in einer Wohngruppe untergebracht werden, damit er nicht mehr jedes Wochenende bei einem Elternteil sein müsse. Außerdem seien die Umgangskontakte zu begleiten, um die Möglichkeit massiver Beeinflussung durch die Eltern zu vermeiden. Die Eltern beantragten hierauf am 30.06.2009 bei der Klägerin Leistungen der Jugendhilfe.

Am 01.07.2009 wurde der Leistungsberechtigte in der in Trägerschaft des Beklagten stehenden Westfälischen Wohngruppe und Internat N aufgenommen, in der behinderte Kinder und Jugendliche betreut werden, die einer Betreuung außerhalb der Familie und ihres bisherigen Umfeldes bedürfen. Der fachliche Schwerpunkt liegt dabei in der Betreuung hörbeeinträchtigter Kinder und Jugendlicher. Die Klägerin erteilte der Einrichtung mit Schreiben vom 09.07.2009 eine bis auf Weiteres geltende Kostenzusage; dabei wurde der tägliche Entgeltsatz von 149,66 EUR zugrunde gelegt, der ...

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