Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellung der Prozessunfähigkeit eines Beteiligten durch das Gericht

 

Orientierungssatz

Als Prozesshandlung ist die Klagerücknahme nur wirksam, wenn sie von einer prozessfähigen Partei erklärt wird. Eine vorübergehende, zeitweise Prozessunfähigkeit schließt eine wirksame Prozesserklärung aus. Bei bestehenden Zweifeln an der Prozessfähigkeit entscheidet das Gericht im Wege des Freibeweises. Hat der behandelnde Arzt bei dem Betroffenen die Fähigkeit zur Abgabe rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen ausgeschlossen und erlaubt der vom Gericht ermittelte Sachverhalt die Feststellung der Prozessfähigkeit nicht mit der erforderlichen Sicherheit, so gehen die verbliebenen Zweifel zu Lasten der Partei, mit der Folge, dass die Unwirksamkeit der abgegebenen Prozesserklärung zu unterstellen ist.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Änderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Köln vom 17.12.2009 die Klage abgewiesen.

Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Aufrechnung rückwirkend bewilligter Arbeitslosenhilfe mit Erstattungsforderungen der Beklagten aufgrund der Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe.

Die Beklagte hob mit Bescheid vom 15.06.2001, geändert durch Bescheid vom 14.11.2001, die Bewilligung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe im Zeitraum 15.11.1997 bis 21.01.2001 teilweise auf und verlangte die Erstattung eines Betrages von insgesamt 37.421,76 DM (19.133,44 EUR). Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19.11.2001, rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts - SG - Köln vom 06.11.2002).

Für den Zeitraum 01.09. 2002 bis 31.12.2004 bewilligte die Beklagte im Rahmen eines weiteren Gerichtsverfahrens (SG Köln, urspr. Az. S 14 AL 1/06, wieder aufgenommen unter S 14 AL 72/09 WA, anhängig geworden beim erkennenden Senat unter dem Az. L 19 AL 31/10) durch Bescheide vom 31.08.2007 Arbeitslosenhilfe in Höhe eines wöchentlichen Leistungsbetrages zwischen 68,67 EUR und 61,39 EUR. Gleichzeitig erließ sie neun weitere Aufhebungs- und Erstattungsbescheide über den Leistungszeitraum vom 28.08.1997 bis 21.01.2001, die sie zum Gegenstand des Gerichtsverfahrens erklärte. Durch weitere Bescheide vom 09.04.2008 setzte die Beklagte den wöchentlichen Leistungsbetrag zwischen 84,42 EUR und 71,88 EUR fest. Mit formlosem Schreiben vom 09.04.2008 erklärte sie die Verrechnung des nachzuzahlenden Arbeitslosenhilfebetrages in Höhe von 1.349,42 EUR mit ihren Erstattungsforderungen. Den Widerspruch der Klägerin hiergegen wies sie als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 16.06.2008).

Hiergegen hat die Klägerin am 02.07.2008 vor dem SG Köln Klage erhoben und geltend gemacht, die Erstattungsforderungen seien verjährt, sodass die Verrechnung unzulässig und die bewilligten Beträge auszuzahlen seien.

Die Klägerin hat auf den Hinweis des SG in der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2009, dass die Aufrechnung zu Recht erfolgt sei, die Klage zurückgenommen, diese Erklärung aber am selben Tage widerrufen, weil sie infolge postoperativer Beschwerden prozessunfähig gewesen sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.12.2009 hat das SG die Beendigung des Rechtsstreits durch Erledigungserklärung (richtig Klagerücknahme) vom 24.06.2009 festgestellt.

Mit ihrer gegen den am 24.12.2009 zugestellten Gerichtsbescheid eingelegten Berufung vom 25.01.2010 begehrt die Klägerin die Fortsetzung des Verfahrens und macht geltend, dass die Aufrechnung zu Unrecht erfolgt sei. Durch die Anfechtung der Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 31.08.2007 stehe der Beklagten keine fällige Gegenforderung zu. Auch seien die Forderungen der Beklagten zwischenzeitlich verjährt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des SG Köln vom 17.12.2009 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 09.04.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihre Entscheidung für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat aufgrund der Beiziehung in der parallel verhandelten Sache L 19 AL 31/10 vorgelegen hat, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber nur begründet, soweit sie sich gegen die Feststellung der Beendigung des Verfahrens durch die vor dem SG erklärte Klagerücknahme richtet. Im Übrigen hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Grundsätzlich erledigt die Klagerücknahme, wie sie hier von der Klägerin vor dem SG in mündlicher Verhandlung erklärt worden ist, den Rechtsstreit in der Hauptsache gem. § 102 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Als Prozesshandlung (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 102 Rn. 7d) ist sie jedoch nur wirksam, wenn sie von einer prozessfähigen Partei erklärt wird, es sei denn - wofür hier jegliche Anhaltspunkte fehlen -, die Prozes...

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