Entscheidungsstichwort (Thema)

Verordnungsfähigkeit des Wirkstoffes Dronabinol und des Importarzneimittels Marinol

 

Orientierungssatz

1. Die Krankenkassen dürfen ihren Versicherten eine neuartige Therapie mit einem Rezepturarzneimittel, das vom Bundesausschuss noch nicht empfohlen ist, nicht gewähren. Hierzu zählt die Schmerztherapie mit Dronabinol.

2. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse besteht ausnahmsweise im Fall eines sog. Systemversagens. Ein solches besteht für Dronabinol nicht, weil ein Prüfantrag für das Arzneimittel beim Bundesausschuss noch nicht gestellt worden ist.

3. Das Fertigarzneimittel Marinol ist in Deutschland nicht zugelassen. Eine Verordnung dieses Medikaments kommt unter dem Gesichtspunkt des sog. Seltenheitsfalles nicht in Betracht.

4. Eine Verordnungsfähigkeit entsprechend dem Beschluss des BVerfG vom 6. 12. 2005 -1 BvR 347/98- kommt nur dann in Betracht, wenn eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliegt.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19.01.2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Kostenübernahme für den Wirkstoff Dronabinol zur Herstellung eines Rezepturarzneimittels, hilfsweise die Kostenübernahme für das Importarzneimittel Marinol. Dronabinol ist Hauptinhaltsstoff von Cannabis sativa, seit 1998 in Deutschland verkehrs- und verschreibungsfähig (Anlage III zu § 1 Abs. 1 Betäubungsmittelgesetz (BtMG)) und kann als Rezeptursubstanz verwendet werden. Das Fertigarzneimittel Marinol kann individuell über eine Apotheke aus dem Ausland beschafft werden.

Der im Jahr 1971 geborene Kläger ist bei der beklagten Ersatzkasse versichert und leidet unter einem Morbus Hirschsprung, einem Zustand nach Dickdarmresektion und Dünndarmteilresektion, chronischen Neuralgien des Nervus pudendus, einem chronischen Schmerzsyndrom, einer anhaltenden Somatisierungsstörung, mittelgradigen depressiven Episoden sowie unter einer Morphinunverträglichkeit. Er ist seit Juli 2004 in schmerztherapeutischer Behandlung in der Q-Klinik N bei Prof. Dr. I.

Mit Schreiben vom 15.03.2005 beantragte Prof. Dr. I für den Kläger bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für den Wirkstoff Dronabinol. Er teilte mit, dass er das Medikament in einer 2,5 %-igen Lösung verordnen wolle, nachdem mit herkömmlichen Analgetika Schmerzfreiheit nicht zu erzielen sei. Hierdurch erwarte er, dass der Kläger eine akzeptable Lebensqualität erreiche.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Dr. M vom MDK führte unter dem 08.04.2005 aus, dass das Arzneimittel Marinol in den USA für die Indikationen "Anorexie mit Gleichgewichtsverlust bei AIDS" sowie "Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapien bei Patienten, die nicht auf eine adäquate Therapie mit konventionellen Anti-Emetika ansprechen", zugelassen sei. Der Kläger begehre nicht nur einen Auslandsimport, sondern auch eine Verordnung außerhalb der Zulassung. Die Verordnung könne nicht befürwortet werden, da valide klinische Untersuchungen im Vergleich mit den etablierten Schmerzbehandlungsschemata fehlten.

Nach Übersendung des Gutachtens an den Kläger teilte dieser mit, dass er bereits erfolglos mit verschiedenen Morphinpräparaten und Codein behandelt worden sei. Er bat die Beklagte, erneut in die Prüfung der Verordnungsfähigkeit einzutreten.

In einer Stellungnahme vom 03.05.2005 hielt Dr. M an seiner zuvor geäußerten Beurteilung fest. Die Beklagte lehnte daraufhin die Kostenübernahme ab (Bescheid vom 12.05.2005). Bei dem Präparat Dronabinol (Marinol) handele es sich nicht nur um einen Auslandsimport, sondern auch um eine Verordnung außerhalb der Zulassung.

Auf die Einwände des Klägers hörte die Beklagte den MDK erneut an. Dr. M erläuterte hier die Wirkungsweise der geltend gemachten Arzneimittel und hielt daran fest, dass es hinreichend valide Studien, die geeignet seien, einen Therapieerfolg darzustellen, nicht gebe (Gutachten vom 09.06.2005).

Prof. Dr. I führte hierzu mit Schreiben vom 13.06.2005 aus, die Einnahme von Opiaten sei für den Kläger aufgrund seiner Grunderkrankung nur in begrenzter Menge und Stärke möglich. Der Kläger habe einen neuropathischen opiatpflichtigen Schmerz, die Opiateinnahme sei aber mit nicht tolerierbaren Nebenwirkungen behaftet. Eine Co-Medikation sei bereits verordnet, könne nach medizinischem Standard jedoch nicht mehr ausgeweitet werden. Mit Rezept vom 10.07.2005 verordnete Prof. Dr. I dem Kläger sodann das Fertigarzneimittel Marinol. Dieses Rezept legte der Bevollmächtigte des Klägers der Beklagten durch Schreiben vom 03.08.2005 mit einem erneuten Antrag auf Kostenübernahme vor.

Die Beklagte wertete dieses Schreiben als Widerspruch, den der Widerspruchsausschuss zurückwies. Prof. Dr. I sei nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Bereits deshalb scheide die Übernahme der Kosten für die von diesem Arzt im Rahmen der Schmerzthera...

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