Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel bei unangemessener Verfahrensdauer des Sozialgerichts
Orientierungssatz
1. Die Berufung erfordert zu ihrer Statthaftigkeit eine erstinstanzliche Entscheidung. Nur gegen eine ergangene Entscheidung eines Gerichts, nicht aber gegen dessen vermeintliches oder tatsächliches Untätigbleiben kann das im Rechtszug übergeordnete Gericht angerufen werden.
2. Von dem Erfordernis der Beschwer durch ein tatsächlich vorliegendes Urteil kann nicht abgesehen werden. Eine Rechtsfortbildung durch die Schaffung einer richterrechtlichen Untätigkeitsbeschwerde kommt nicht in Betracht. Eine derartige Untätigkeitsbeschwerde ist unzulässig.
Tenor
Die Berufung des Klägers wird als unzulässig verworfen. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits im Berufungsverfahren. Der Streitwert wird auf 25.564,59 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, einen Betrag in Höhe von 25.564,59 Euro einzubehalten, vorab ist über die Zulässigkeit der Berufung zu entscheiden.
Der Kläger betreibt in F, C und I Fachgeschäfte für Orthopädieschuhtechnik. Er ist zugelassener Leistungserbringer.
Die Beklagte überprüfte von dem Kläger im Zeitraum von 1997 bis 2000 erbrachte Leistungen u.a. durch (schriftliche) Befragungen von Versicherten, Begutachtung durch Fachberater im Rahmen der Qualitätsprüfung sowie durch Sachverständige. Dabei gelangte sie zu dem Ergebnis, dass Leistungen, die der Kläger im Umfang von 79.982,82 DM abgerechnet hatte, nur in einem Umfang von 44.580,88 DM sachlich gerechtfertigt gewesen seien; es ergebe sich ein Betrag in Höhe von 35.441,94 DM, der vom Kläger zu viel abgerechnet worden sei. Die Beklagte verlangte von dem Kläger die Abgabe eines unwiderruflichen Schuldanerkenntnisses über 50.000,- DM. Wegen der Weigerung des Klägers behielt die Beklagte von den vom Kläger im Zeitraum vom 25.10.2001 bis 04.03.2002 erbrachten und in Rechnung gestellten Leistungen in Höhe von 50.067,51 Euro 45.663,58 Euro ein. Im Rahmen des vom Kläger betriebenen einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (Az.: S 11 KR 51/02 ER, Sozialgericht Münster) erklärte sich die Beklagte bereit, den über 25.564,59 Euro hinausgehenden Betrag, also 20.098,99 Euro an den Kläger auszuzahlen, der daraufhin das einstweilige Rechtsschutzverfahren für erledigt erklärte.
Der Kläger hat am 05.03.2002 Klage vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben. Er hat die Ansicht vertreten, dass die Beklagte den Betrag in Höhe von 25.564,59 Euro zu Unrecht einbehalten habe. Sie habe die ihr angeblich zustehende Forderung in keiner Weise konkretisiert und substantiiert dargelegt, aufgrund welchen Sachverhalts sie zu Ansprüchen gegen ihn gelange.
Das Sozialgericht (SG) hat am 04.08.2003 die den Kläger und den Vorwurf des Betrugs wegen der (angeblichen) Falschabrechnung betreffenden Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft N angefordert, die am 18.08.2003 beim Sozialgericht eingegangen und am 20.01.2004 an die Staatsanwaltschaft zurückgegeben worden sind. Zwischen dem 13.09.2004 und dem 30.08.2006 hat der erstinstanzliche Richter nichts weiter veranlasst; am 07.06.2005 hat er die Streitsache für einen Termin zur mündlichen Verhandlung vorgesehen. Auch die Beteiligten haben während dieses Zeitraums in dem Streitverfahren nichts unternommen.
Die für den 14.12.2006 und 22.02.2007 vorgesehenen Verhandlungstermine hat der erstinstanzliche Richter wegen der mangelnden Verfügbarkeit der Ermittlungsakten in der Strafsache des Klägers jeweils aufgehoben. Den für den 19.04.2007 vorgesehenen Termin hat das SG am 17.04.2007 mit der Begründung aufgehoben, dass wegen der Übersendung der Strafakten durch das Landgericht Münster erst am 13.04.2007 "ein vertretbarer Entscheidungsvorschlag nicht habe erarbeitet werden können".
Der Kläger hat am 26.04.2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor: Ein Urteil des SG liege zwar nicht vor, jedoch müsse in Ausnahmefällen das Rechtsmittel der Berufung auch dann, nämlich bei Untätigkeit des erstinstanzlichen Gerichts zulässig sein. Dies müsse insbesondere gelten, wenn das Gericht eine Entscheidung unangemessen verzögere. Eine überlange Verfahrensdauer könne bekanntlich einen Verstoß gegen das Recht auf ein zügiges Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1, 13 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie gegen den verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) herzuleitenden allgemeinen Justizgewährungsanspruch darstellen. Die 11. Kammer des SG Münster weigere sich seit nunmehr fünf Jahren, das Streitverfahren zu entscheiden. Das Berufungsgericht sei deshalb verpflichtet, den Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention durch eine eigene Entscheidung zu beseitigen. Hilfsweise sei auf die Beschwerde hin dem erstinstanzlichen Gericht aufzugeben, eine Entscheidung in der Hauptsache binnen einer bestimmten Frist herbeizuführen. Im Übrigen sei die Berufung auch materiell begründet, weil der Kläger von der Beklagten die Zahlung des Betrages von 25.5...