Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers für körperlich oder geistig behinderte Kinder und Jugendliche. auch bei zusätzlichem Vorliegen einer seelischen Behinderung. keine Abgrenzung nach dem Schwerpunkt der Behinderung
Orientierungssatz
1. Folge der sich aus § 10 Abs 4 S 1 SGB 8 ergebenden vorrangigen Zuordnung der Leistungen der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche gem § 35a SGB 8 zur Kinder- und Jugendhilfe ist, dass der Vorrang der Sozialhilfe für Maßnahmen der Eingliederungshilfe für körperlich oder geistig behinderte junge Menschen nach § 10 Abs 4 S 2 SGB 8 bestehen bleibt. Dabei handelt es sich nicht um eine Ausnahme vom Grundsatz des § 10 Abs 4 S 1 SGB 8, sondern um eine klarstellende Regelung, da das SGB 8 keine Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, bereit stellt.
2. Leistungen nach den §§ 53 ff SGB 12 sind vorrangig, solange sie zumindest auch auf den Hilfebedarf wegen einer geistigen oder körperlichen Behinderung eingehen. Auf den Schwerpunkt der Behinderung kommt es dagegen bei der Abgrenzung nicht an.
Nachgehend
BSG (Vergleich vom 12.12.2013; Aktenzeichen B 8 SO 21/12 R) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 27.07.2011 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten besteht Streit über die Frage, ob der Kläger als Träger der Jugendhilfe vom Beklagten als überörtlichem Träger der Sozialhilfe 111.501,53 EUR erstattet verlangen kann. Die Kosten sind angefallen durch die im Rahmen einer Eingliederungsmaßnahme erfolgte stationäre Unterbringung des E X (X) in der Zeit vom 22.11.2005 bis 31.01.2008.
Der am 00.00.1992 geborene X war in der Zeit vom 22.11.2005 bis 10.08.2006 in einer Einrichtung für Kinder- und Jugendhilfe in X untergebracht. Seit 14.08.2006 befindet er sich in einer Einrichtung in M. Die stationäre Unterbringung wurde erforderlich, weil X von seinem Stiefvater geschlagen wurde und vermutlich den sexuellen Missbrauch seiner Halbschwester mitbekommen hat. X wurde verhaltensauffällig, er zeigte sich aggressiv und provokant. Es kam zu sexuellen Übergriffen und Tierquälereien. Durch die stationäre Unterbringung entstanden Kosten in der genannten Höhe, nachdem Eigenmittel (Kindergeld und Waisenrente) mindernd berücksichtigt worden waren.
Mit Schreiben vom 08.06.2006 machte der Kläger beim Beklagten einen Erstattungsanspruch für die Zeit ab 22.11.2005 nach § 104 des Sozialgesetzbuches (SGB) X geltend und forderte den Beklagten darüber hinaus auf, die Kosten für die Unterbringung ab 14.08.2006 zu übernehmen. Die Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens habe ergeben, dass X einen IQ von 69 habe. Damit liege eine eindeutige geistige Behinderung vor, so dass die Defizite nicht mehr auf eine unzureichende Förderung zurückzuführen seien, sondern allein auf die Minderbegabung. Die intellektuelle Überforderung sei auch auslösendes Moment für die aggressiven Impulse. Beigefügt war eine Stellungnahme der Neurologin und Psychiaterin Dr. L vom 02.06.2006.
Mit Schreiben vom 10.10.2006 lehnte der Beklagte sowohl den Erstattungsanspruch als auch den Zuständigkeitswechsel ab. Es läge eine leichte geistige Behinderung (IQ: 69) und eine kombinierte Störung des Verhaltens und der Emotionen vor. Die stationäre Betreuung sei nicht durch die leichte geistige Behinderung notwendig geworden, mit dieser allein wäre ohne die desolaten Familienverhältnisse sicherlich eine Betreuung in der Herkunftsfamilie möglich gewesen. Dort sei aber eine kindgerechte Sozialisation wegen sexuellen Missbrauchs und Alkoholabusus nicht möglich gewesen. Der stationäre Betreuungsbedarf werde nicht grundsätzlich angezweifelt, jedoch werde deutlich, dass er nicht aufgrund der geistigen, sondern der seelischen Behinderung erforderlich geworden sei. Aus diesem Grunde sei die Zuständigkeit des Jugendamtes bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gegeben.
Der Kläger teilte daraufhin mit Schreiben vom 04.01.2007 mit, dieser Einschätzung nicht folgen zu können. X sei aufgrund seiner geistigen Defizite nicht in der Lage, die pädagogischen Angebote der Jugendhilfe anzunehmen und umzusetzen. Aus diesem Grunde sei eine Unterbringung in der Stiftung F, einer Einrichtung für geistig Behinderte, dauerhaft notwendig geworden. Nach den vorgelegten Befunden läge bei X eindeutig eine geistige Behinderung vor. Seine Unterbringung in Einrichtungen der Jugendhilfe sei auch im Interesse der dort untergebrachten Kinder und Jugendlichen nicht mehr möglich gewesen. X habe sich mit seinen Verhaltensweisen (Übergriffe im sexuellen Bereich) und seinen gravierenden Entwicklungsdefiziten ausgegrenzt. Es lägen keine sexuellen Auffälligkeiten vor, denen erzieherisch begegnet werden müsste, sondern ein enthemmtes Sexualverhalten infolge ...