Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen des Eintritts der Klagerücknahmefiktion - Berufungsverfahren

 

Orientierungssatz

1. Nach § 102 Abs. 2 S. 1 SGG gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt.

2. Ein Betreiben liegt nur dann vor, wenn ein Vortrag zur Sache erfolgt. Ein Ablehnungsgesuch gegen den Richter ist dafür nicht ausreichend. Dieses ist auf Ausschluss des Richters, nicht aber auf Darlegung von anspruchsbegründenden Tatsachen gerichtet.

3. Hinreichende Anhaltspunkte für den erforderlichen Wegfall des Rechtschutzinteresses sind in einem Verfahren über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts insbesondere dann gegeben, wenn der Kläger zur Notwendigkeit existenzsichernder Leistungen überhaupt nichts vorträgt.

4. Die Fiktion der Klagerücknahme kann noch im Berufungsverfahren eintreten.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 24.01.2021; Aktenzeichen B 7/14 AS 277/21 B)

 

Tenor

Es wird festgestellt, dass das Verfahren L 2 AS 701/20 durch Rücknahme der Klage beendet ist.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen

 

Tatbestand

Unter den Beteiligten ist streitig, ob der Rechtsstreit durch Rücknahmefiktion in der Berufungsinstanz beendet worden ist.

In dem zu Grunde liegenden Verfahren hat sich die am 00.00.1993 geborene Klägerin mit der am 26.04.2018 bei dem Sozialgericht Köln erhobenen Klage gegen die Versagung der von ihr im Oktober 2017 beantragten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) wegen fehlender Mitwirkung durch Bescheid vom 05.02.2018 und Widerspruchsbescheid vom 09.03.2018 sowie gegen die spätere Ablehnung des Leistungsantrags wegen nicht nachgewiesener Hilfebedürftigkeit (Bescheid vom 19.06.2018, Widerspruchsbescheid vom 01.08.2018) gewandt und einen zusätzlich Anspruch auf Zusicherung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 5 SGB II geltend gemacht. Die Klage hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 06.04.2020 abgewiesen.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 05.05.2020 Berufung (Az. L 2 AS 701/20) eingelegt. Mit Verfügung vom 04.06.2020 hat der Berichterstatter des Senats der Klägerin rechtliche Hinweise erteilt und sie aufgefordert, binnen einer bis zum 01.07.2020 gesetzten Frist bestimmte Angaben zu machen (unter anderem darüber, wovon sie seit Antragstellung ihren Lebensunterhalt bestritten hat) und näher bezeichnete Unterlagen zur Klärung ihrer Bedürftigkeit im Sinne des SGB II (unter anderem Auszüge der Konten ihrer Eltern) zum Verfahren zu reichen. Nachdem eine Reaktion darauf nicht erfolgte, hat das Gericht die Klägerin mit Schreiben vom 19.08.2020 aufgefordert, das Verfahren zu betreiben. Weiterhin erfolgte der Hinweis, dass gemäß § 102 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Klage als zurückgenommen gilt, wenn das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate ab Zugang der Aufforderung nicht betrieben wird. Die Betreibensaufforderung ist dem Bevollmächtigten der Klägerin am 22.09.2020 mit Zustellungsurkunde zugestellt worden.

Mit Schriftsatz vom 17.11.2020 hat der Bevollmächtigte der Klägerin die Ablehnung und Ausschließung des Berichterstatters gemäß § 60 SGG beantragt, weil dieser nicht hinreichend neutral sei, um das Verfahren weiterführen zu können. Für den relevanten Prüfungszeitraum habe die Klägerin vorgetragen, von der Hand in den Mund gelebt zu haben. Dies sei aktenkundig und hätte dem abzulehnen Richter auffallen müssen. Der Klägerin sei nicht zuzumuten, Beweismittel beizubringen, welche die Rechtsansichten der Gegenseite stützten. Wegen des verfolgten Anspruchs auf Zusicherung nach § 22 Abs. 5 SGB II sei entscheidend, ob die Klägerin diesen im Zeitpunkt der Antragstellung gehabt habe.

Mit Beschluss vom 17.12.2020 hat der Senat, ohne Mitwirkung des vom Ablehnungsgesuch betroffenen Berichterstatters, den Befangenheitsantrag zurückgewiesen.

Erklärungen zu den in der Betreibensaufforderung bzw. in dem darin in Bezug genommenen Anschreiben des Gerichts, an die Klägerin gerichteten Fragen und auch die Übersendung der von ihr erbetenen Nachweise über Bedürftigkeit erfolgten von Seiten der Klägerin nicht. Mit Verfügung vom 23.12.2020 hat das Gericht das Verfahren als durch Rücknahme der Klage beendet ausgetragen.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit Eingabe vom 29.01.2021. Sie ist der Auffassung, das Verfahren sei nicht durch die Fiktion einer Klagerücknahme beendet worden; die Berufung sei mithin weiterhin anhängig. Auch seien die Gründe für die Entscheidung des Gerichts zur Richterablehnung nicht nachvollziehbar. Sie beantrage deswegen die Fortsetzung des Verfahrens und für den Fall, dass das Gericht anderer Auffassung sein sollte, bitte sie um ein Urteil in der Sache.

Der Senat hat das Verfahren unter Vergabe eines neuen Aktenzeichens fortgesetzt.

Nach Lage der Akten beantragt die Klägerin,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 0...

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