Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder. Berücksichtigung von Ehegatteneinkommen während des Bezugs von Elterngeld. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

Die Berücksichtigung von Ehegatteneinkommen bei der Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung während des Bezugs von Elterngeld ist mit Art 3 Abs 1 und Art 6 Abs 1 GG vereinbar (Entgegen LSG Stuttgart vom 25.1.2022 - L 11 KR 1922/21).

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 12. Mai 2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung für die Zeit vom 5. Juni 2018 bis 8. Juni 2020.

Die am 00.00.1979 geborene Klägerin ist seit dem 1. Januar 2011 bei der Beklagten freiwillig versichert. Sie ist seit dem 10. Februar 2018 verheiratet und lebt mit ihrem Ehemann zusammen, der privat versichert ist. Am 00.04.2018 wurde die gemeinsame Tochter geboren. In der Zeit vom 5. Juni 2018 bis zum 8. Juni 2020 befand sich die Klägerin in Elternzeit und bezog kein Arbeitsentgelt. In der Zeit vom 9. April 2018 bis 4. Juni 2018 erhielt die Klägerin Mutterschaftsgeld sowie einen Arbeitgeberzuschuss.

Mit Bescheid vom 5. Juli 2018 wurde der Klägerin antragsgemäß Elterngeld ab dem 9. April 2018 bis zum 8. Mai 2019 bewilligt. Infolge der Anrechnung von Mutterschaftsgeld und des Arbeitgeberzuschusses ergab sich für den ersten Lebensmonat kein Auszahlungsbetrag, für den zweiten Lebensmonat ein Betrag von 232,26 Euro. Für den dritten bis neunten Lebensmonat belief sich der Auszahlungsbetrag auf 1.800 Euro, für den 10. bis 13. Lebensmonat auf 900 Euro.

Mit Schreiben vom 6. Mai 2019 gratulierte die Beklagte der Klägerin zur Geburt ihrer Tochter. Die Klägerin genieße weiterhin den Versicherungsschutz als freiwillig Versicherte. Ob sie beitragsfrei versichert werden könne, hänge von einer Prüfung ab. Beigefügt war ein Fragebogen.

Die Klägerin reichte den ausgefüllten Fragebogen sowie verschiedene Unterlagen unter dem 29. Juni 2019 zurück (beigefügt waren u.a. die Einkommensteuerbescheide für das Jahr 2017, die für die Klägerin Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit i.H.v. 79.156 Euro und für ihren Ehemann Einkünfte aus selbstständiger Arbeit i.H.v. 164.186 Euro auswiesen).

Mit dem streitbefangenen Bescheid vom 15. Juli 2019 setzte die Beklagte Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung für die Zeit vom 5. Juni 2018 bis zum 31. Dezember 2018 in Höhe von 390,51 Euro fest (309,75 Euro Krankenversicherungsbeitrag, 24,34 Euro Zusatzbeitrag, 56,42 Euro Pflegeversicherungsbeitrag). Ab dem 1. Januar 2019 wurde der monatliche Beitrag auf 409,09 Euro festgesetzt (317,63 Euro Krankenversicherungsbeitrag, 22,23 Euro Zusatzbeitrag, 69,20 Euro Pflegeversicherungsbeitrag). Aufgrund der rückwirkenden Beitragsfestsetzung ergab sich ein Rückstand in Höhe von 5.135,86 Euro.

Bei der Berechnung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nahm die Beklagte aufgrund der mitgeteilten Einnahmen des Ehegatten ein Familieneinkommen in Höhe von monatlich 13.682,17 Euro an. Von diesem zog sie einen Kinderfreibetrag in Höhe von 1.038,33 Euro ab, sodass sich ein bereinigtes monatliches Familieneinkommen i.H.v. 12.643,84 Euro ergab. Die Hälfte dieses Betrages (6.321,92 Euro) verglich die Beklagte mit der Hälfte der Beitragsbemessungsgrenze gemäß § 6 Abs. 7 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), die sich 2018 auf 2.212,50 Euro und 2019 auf 2.268,75 Euro belief. Da das halbe Familieneinkommen höher war als die halbe Beitragsbemessungsgrenze, wurde als Ausgangswert zur Beitragsfestsetzung ab dem 5. Juni 2018 die halbe Beitragsbemessungsgrenze zugrunde gelegt.

Gegen den Bescheid vom 15. Juli 2019 erhob die Klägerin am 9. August 2019 Widerspruch und machte geltend, dass eine Beitragsfestsetzung über den monatlichen Mindestbeitrag hinaus rechtswidrig sei. Gem. Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) stünden Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Eine Schlechterstellung von Ehe und Familie gegenüber nicht verheirateten Personen sei verfassungswidrig. Eine solche Schlechterstellung liege hier vor. Durch § 240 SGB V und § 2 Satz 4 der Einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler - BeitrVerfGrsSz) der Beitragsbemessungsgrundsätze zur gesetzlichen Krankenversicherung werde eine verheiratete Versicherte schlechter gestellt als eine unverheiratete. Bei Nichtverheirateten werde lediglich das eigene Einkommen berücksichtigt, auch wenn sie mit dem Vater zusammenlebten. Durch die Heirat würden das Einkommen des Ehegatten berücksichtigt und damit erhebliche Beiträge erhoben, di...

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