Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Ghettoarbeit. Ghetto Bendzin. Zahlbarmachung von Ghettorente
Orientierungssatz
Zur Anerkennung einer (fiktiven) Ghettobeitragszeit im Ghetto Bendzin von November 1940 bis Januar 1943.
Tenor
Die Berufung der Beklagten wird unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15. September 2004 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ghettobeitragszeiten erst ab 1.1.1941 zu berücksichtigen sind. Die Beklagte trägt auch die der Klägerin im zweiten Rechtszug entstandenen außergerichtlichen Kosten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung (AR). Streitig ist noch, ob es sich bei der Beschäftigung der Klägerin von November 1940 bis Januar 1943 in Bendzin um solche in einen Ghetto im Sinne des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto vom 20.6.2002 (ZRBG) handelt.
Die am 00.00.1924 in Bendzin/Polen geborene Klägerin war in ihrer Heimat der nationalsozialistischen Verfolgung ausgesetzt. Sie ist deshalb als Verfolgte im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt und hat eine Entschädigung für den in der Zeit vom 1.1.1941 bis zum 5.5.1945 erlittenen Freiheitsschaden erhalten. Nach ihren Angaben im Entschädigungsverfahren hatte sie sich von Ende 1940 bis Anfang 1943 im "Ghetto Bendzin" aufgehalten und war von dort in das Lager Gogolin sowie anschließend in das Lager Langen-Bielau verbracht worden. Nach ihrer Befreiung im Jahre 1945 kehrte sie zunächst nach Bendzin zurück und siedelte später nach Dzierzonow über, von wo sie im Jahre 1957 nach Israel auswanderte, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt und in dessen Rentenversicherung sie zwischen 1.4.1960 bis 30.11.1984 versichert war.
Am 27.5.1998 beantragte die Klägerin AR unter Berücksichtigung von Fremdbeitragszeiten nach § 17 a des Fremdrentengesetzes (FRG) und gab dazu unter dem 9.7.1998 an, sie habe von Ende 1940 bis Anfang 1943 im Ghetto Bendzin gearbeitet.
Die Beklagte zog die Entschädigungsakte der Klägerin bei. Darin findet sich u.a. eine eidesstattliche Versicherung vom 12.2.1967, in der die Klägerin u.a. angegeben hatte, sie habe nach der Besetzung ihrer Geburtsstadt Bendzin den Judenstern tragen müssen und Zwangsarbeiten verrichten müssen. Sie habe in der Fabrik "F" bei der Herstellung von Büroartikeln gearbeitet. Nachdem das Ghetto in Bendzin errichtet worden sei, sei sie dort bis Anfang 1943 geblieben. Eidesstattlich bestätigt wurden diese Angaben von N L (28.3.1967) und S O (12.2.1967).
Mit Bescheid vom 3.11.2000 lehnte die Beklagte die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung und die Zahlung einer AR nach dem Zusatzabkommen zum Abkommen vom 17.12.1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über soziale Sicherheit (DISVA) ab: Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen des § 17 a FRG. Die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dsK) sei nicht glaubhaft, da die Klägerin trotz Aufforderung keine Sprachprüfung abgelegt habe. Die behaupteten Beschäftigungen im Ghetto Bendzin von Dezember 1940 bis Januar 1943 seien zudem als Zwangsarbeiten im Rahmen von Verfolgungsmaßnahmen zu beurteilen, für die Versicherungspflicht weder nach deutschen noch nach polnischen Rechtsvorschriften bestanden hätte. Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin, der ohne Begründung blieb, wies die Beklagte mit Bescheid vom 15.3.2001 zurück.
Mit der am 29.3.2001 beim Sozialgericht Düsseldorf (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Rentenbegehren weiterverfolgt und auf den im Klageverfahren erteilten Bescheid der Beklagten vom 28.1.2004 erstreckt und später hierauf beschränkt. Mit diesem Bescheid hatte die Beklagte den Antrag auf Bewilligung einer AR nach dem ZRBG mit der Begründung abgelehnt, dass die behauptete Beschäftigungszeit im Ghetto Bendzin vom 1.12.1940 bis zum 31.12.1942 nicht berücksichtigt werden könne, da das Ghetto Bendzin erst im Januar 1943 errichtet worden sei.
Die Klägerin hat weiterhin die Berücksichtigung von Beitragszeiten in Bendzin (Zeitraum zunächst: Januar 1940 bis März 1943) begehrt. Zur Glaubhaftmachung hat sie Erklärungen der E O1 und U O1 vom Mai 2002 eingereicht, die bestätigt haben, dass die Klägerin von Januar 1940 bis März 1943 im Ghetto Bendzin in der Herstellung für Büroartikel gearbeitet und für ihre Arbeit in der Werkstätte wie auch für ihre Arbeit im Ghetto Bendzin ein Gehalt erhalten habe. Sie hat die Ansicht vertreten, der Ghetto-Begriff des ZRBG könne nicht im Sinne der Beklagten ausgelegt werden. Das ZRBG habe bei der Verwendung des Begriffs "Ghetto" auf die bisherige Praxis zur Auslegung von Beschäftigungen innerhalb und außerhalb eines Ghettos Bezug nehmen wollen. Ein Ghetto im Sinne des ZRBG sei dann anzunehmen, wenn eine jüdische Selbstverwaltung eingerichtet worden sei, die auch für die Arbeitsbeschaffung zuständig gewesen sei. Das ...