Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. GdB von 50. auditive Verarbeitungsstörung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Analogie zur sensorischen Aphasie. sozialgerichtliches Verfahren. ungünstiges Ergebnis eines Sachverständigengutachtens. Anfrage seitens des Gerichts bzgl Rücknahme der Berufung. Pflicht zur Stellung des Antrags nach § 109 SGG innerhalb angemessener Frist
Orientierungssatz
1. Nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen sind auditive Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen analog einer sensorischen Aphasie zu bewerten. Dabei ist GdB-mindernd zu berücksichtigen, dass bei einer auditiven Störung typischerweise keine Hirnschädigungen vorliegen.
2. Fragt das Gericht mit der Übersendung eines von Amts wegen eingeholten Gutachtens an, ob angesichts des Ergebnisses der Beweisaufnahme die Berufung aufrechterhalten werde, muss der Kläger davon ausgehen, dass das Gericht keine weitere Sachaufklärung beabsichtigt. Ein Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG ist dann innerhalb einer angemessenen Frist zu stellen.
Normenkette
SGB IX § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 69 Abs. 1 Sätze 1, 4-5, § 145; SGB X § 48 Abs. 1 S. 1; SGG § 109 Abs. 2; VersMedV § 2; VersMedV Anlage Teil B Nr. 2.3; VersMedV Anlage Teil B Nr. 3.1.2; VersMedV Anlage Teil B Nr. 3.7
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 05.10.2011 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50.
Der am 00.00.1980 geborene Kläger leidet maßgeblich an einer auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung. Bis zur achten Klasse besuchte er das Gymnasium, wechselte dann bis zur zehnten Klasse auf eine Privatschule und absolvierte sodann die Oberstufe am Berufskolleg für Hörgeschädigte, wo er das Abitur erwarb. Der Kläger studierte zunächst Wirtschaftswissenschaften, brach dieses Studium aber ab und studierte bis zuletzt Sportwissenschaften. Er besitzt eine Fußballtrainerlizenz und war bis Oktober 2014 ehrenamtlich als Trainer tätig.
Auf einen ersten Antrag im Jahr 1993 stellte das Versorgungsamt E mit Bescheid vom 09.03.1994 einen GdB von 30 fest. Dem lag die Bewertung einer zentralen Fehlhörigkeit mit einem Einzel-GdB von 30 und einer Allergieneigung mit einem Einzel-GdB von 10 zugrunde. Im Rahmen einer Nachprüfung entstand Streit über den Umfang der Mitwirkungspflichten des Klägers, woraufhin das Versorgungsamt E den früheren Bescheid aufhob und die konkret begehrte Verlängerung der Bescheinigung für das Finanzamt nach §§ 60, 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGB I) versagte. In einem hiergegen gerichteten Klageverfahren vor dem Sozialgericht Dortmund (S 20 (25) SB 321/98) erstellte die HNO-Ärztin Dr. I ein Sachverständigengutachten und sah aufgrund der auditiven Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung eine kognitive Teilleistungsschwäche, die mit einem GdB von 30 zu bewerten sei. Das damals beklagte Land hob daraufhin den angefochtenen Versagungsbescheid auf.
Am 18.01.2001 beantragte der Kläger die rückwirkende Feststellung eines GdB von mindestens 50 ab dem 01.01.1993. Wegen erneutem Streit über die Mitwirkungspflichten versagte das Versorgungsamt E 2003 nach §§ 60, 66 SGB I die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft. In einem anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Dortmund (S 20 SB 348/13) einigten sich die Beteiligten am 27.04.2004 auf die Veranlassung einer Begutachtung im Verwaltungsverfahren und Neubescheidung.
2006 erstellte die Neurologin, Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. C im Auftrag des Versorgungsamtes E ein Gutachten. Sie stellte eine durchschnittliche Intelligenz und unauffällige Wesenszüge fest, wobei das inhaltliche Denken auf das Bestehen einer cerebralen Leistungsminderung fixiert gewesen sei. Eine solche liege aber nicht vor. Sie diagnostizierte eine Entwicklungsstörung mit zentraler Fehlhörigkeit, die ebenso wie der GdB insgesamt mit 30 zu bewerten sei. Das Versorgungsamt E lehnte den Antrag auf Feststellung eines höheren GdB mit Bescheid vom 29.03.2007 ab. Der Kläger legte am 16.04.2007 Widerspruch ein. Sein psychischer Zustand habe sich verschlechtert, weshalb er eine Verhaltenstherapie begonnen habe. Das Versorgungsamt E holte einen Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. M und eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. M1 ein. Die Bezirksregierung Münster wies den Widerspruch mit Widerspruchbescheid vom 22.08.2007 zurück.
Am 04.09.2007 hat der Kläger beim Sozialgericht Dortmund Klage gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) erhoben. Er hat vorgetragen, die Schwerbehinderung werde belegt durch die Schwierigkeiten in der Schule, die Übernahme der Kosten der Privatschule im Wege der Eingliederung...