Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Nordrhein-Westfalen. Aufgabenübertragung auf die Kreise und kreisfreien Städte als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung. sachliche Zuständigkeit für die Entscheidung über den Widerspruch. Selbstverwaltungsaufgabe gemäß § 85 Abs 2 S 1 Nr 4 SGG. sozialgerichtliches Verfahren. sachliche unzuständige Widerspruchsbehörde. gebundene Entscheidung ohne Beurteilungsspielraum. Sachurteil. isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheid durch Teilurteil
Orientierungssatz
1. Durch das Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen (VersÄmtEinglG NW 2007) vom 30.10.2007 (GV NW, 2007, 482), verkündet als Art 1 des Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen (BehStraffG NW 2) vom 30.10.2007 (GV NW 2007, 482) hat der Landesgesetzgeber ua die Versorgungsämter aufgelöst und in § 2 die Aufgaben des Schwerbehindertenrechts nach den §§ 69 und 145 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB 9) den Kreisen und kreisfreien Städten als "Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung" übertragen. Diese Aufgabenart ist als Selbstverwaltungsaufgabe iSd § 85 Abs 2 S 1 Nr 4 SGG anzusehen bzw diesen Aufgaben zumindest gleichzustellen.
2. Zur Nichterforderlichkeit, den durch die sachlich unzuständige Widerspruchsbehörde erlassenen Widerspruchsbescheid analog § 79 Abs 2 VwGO isoliert durch Teilurteil aufzuheben und dem Beklagten die Gelegenheit zur erneuten Durchführung des Vorverfahrens zu geben, wenn - wie hier - die zuständige Widerspruchsstelle und der Klagegegner identisch sind und von einer Nachholung des Vorverfahrens nicht zu erwarten wäre, dass damit das Klageverfahren entbehrlich wird.
3. Ein Fehler der örtlichen Zuständigkeit bei Erlass eines Verwaltungsaktes kann nach § 42 S 1 SGB 10 geheilt werden, wenn es sich um eine gebundene Entscheidung handelt. Durch die Beschränkung auf die örtliche Zuständigkeit ist eine solche Heilungsmöglichkeit für Fehler der sachlichen Zuständigkeit nicht eröffnet.
4. Ein schützenswertes Interesse des Betroffenen, im Rahmen eines Verpflichtungsbegehrens lediglich den ablehnenden Widerspruchsbescheid isoliert aufheben zu lassen, ist nur dann anzuerkennen, wenn die Widerspruchsbehörde über einen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum verfügt (vgl BVerwG vom 13.1.1999 - 8 B 266/98 = NVwZ 1999, 641; VG Berlin vom 21.05.2003 = 19 A 442.02 = LKV 2003, 568). Dies ist hier nicht der Fall, denn im Bereich des Schwerbehindertenrechts handelt es sich bei der Widerspruchsentscheidung um eine gebundene Entscheidung.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 21.07.2009 mit der Maßgabe geändert, dass der Widerspruchsbescheid vom 21.07.2008 aufgehoben wird.
Im Übrigen wird die Berufung gegen den Bescheid vom 26.03.2008 zurückgewiesen.
Dem Beklagten werden Kosten in Höhe von 300 Euro auferlegt.
Im Übrigen hat der Beklagte dem Kläger ein Drittel der in beiden Rechtszügen entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der 1949 geborene Kläger beansprucht die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Gehbehinderung).
Er beantragte erstmals im Dezember 2004 die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB), den der Beklagte wegen eines Magencarcinoids und einer Neurose zunächst mit 60 feststellte (Bescheid vom 02.02.2005), später auf 80 erhöhte (Bescheid vom 13.02.06), nach Heilungsbewährung und Auftreten von Wirbelsäulenbeschwerden und einer Polyneuropathie wieder auf 70 herabstufte (Bescheid vom 29.01.2007) und schließlich wegen der Berücksichtigung eines Schlafapnoe-Syndroms mit 90 feststellte (Bescheid vom 15.06.2007).
Am 28.01.2008 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag und beantragte nunmehr auch die rückwirkende Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G". Er stützte sich dabei auf einen Entlassungsbericht des N-Krankenhauses in C über einen stationären Aufenthalt ab dem 12.10.2007, der nach einem Unfall im Garten mit komplizierter Fraktur im linken Fuß erforderlich geworden war.
Der Beklagte holte zunächst eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Chirurgin O (13.02.2008) ein, die, weil eine sichere Einschätzung nicht möglich sei, darum bat, zunächst einen aktuellen Befundbericht beizuziehen. Möglicherweise sei auch eine Untersuchung angeraten. Dem kam der Beklagte nicht nach, sondern holte eine weitere gutachterliche Stellungnahme von Dr. T vom ärztlichen Dienst ein. In ihrer Stellungnahme vom 18.03.2008 beurteilte die Ärztin den GdB nunmehr mit 100 (Neurose, Anpassungsstörungen mit Einzel-GdB 70, Folgen der Magenerkrankung mit Einzel-GdB 30, Fehlhaltung und Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule, Wirbelsäulensyndrom, Bandscheibenschaden, Polyneuropathie mit Einzel-GdB 30, Schlafapnoe-Syndrom mit EinzelGdB 20 und Funktionseinschränkung des Sprunggelenks links mit Einzel-GdB 20). Die Fußverletzung sei komplikationslos verheilt; es sei aus den Un...