Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. örtliche Zuständigkeit. für den tatsächlichen Aufenthaltsort des Leistungsberechtigten zuständiger Sozialhilfeträger. tatsächlicher Aufenthalt im Ausland. Sozialhilfe für Ausländer. tatsächlicher Aufenthalt im Inland. mehr als einmonatiger Auslandsaufenthalt. kein Leistungsanspruch nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen

 

Leitsatz (amtlich)

Ein ausländischer Empfänger von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII hat keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe des Regelsatzes bei mehr als einmonatigem Aufenthalt im Ausland.

 

Orientierungssatz

1. Wenn bei Deutschen, die sich nicht tatsächlich in Deutschland, sondern stattdessen im Ausland tatsächlich und sogar gewöhnlich aufhalten, eine örtliche Zuständigkeit gegeben ist (vgl § 24 Abs 4 S 2 bis 4 SGB 12), ist zu fragen, warum eine örtliche Zuständigkeit nicht gegeben sein soll bei jemandem, der sich - ohne sich schon gewöhnlich im Ausland aufzuhalten - allein rein tatsächlich (vorübergehend) nicht im Inland aufhält.

2. Eine durch den tatsächlichen Aufenthalt eines Hilfeempfängers begründete örtliche Zuständigkeit eines Sozialhilfeträgers endet nicht schon bei jeder vorübergehenden Ortsabwesenheit des Hilfeempfängers; kurzfristige Abwesenheiten während des Bewilligungszeitraums von regelmäßig einem Monat lassen die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers unberührt (Anschluss an BVerwG vom 22.12.1998 - 5 C 21/97 = Buchholz 436.0 § 97 BSHG Nr 10).

3. Die in § 23 Abs 1 S 4 SGB 12 genannten "Einschränkungen nach Satz 1" beziehen sich nicht auf das dort angesprochene Erfordernis des tatsächlichen Aufenthalts, sondern auf das eingeschränkte Leistungsangebot.

4. Art 1 EuFürsAbk bezieht sich, soweit dort von "aufhalten" die Rede ist, nicht auf den gewöhnlichen, sondern auf den tatsächlichen Aufenthalt.

 

Normenkette

SGB XII § 24 Abs. 4 Sätze 2-4, § 23 Abs. 1 Sätze 1, 4-5, §§ 3, 97 Abs. 1, 2 S. 1, § 98 Abs. 1 S. 1, §§ 18, 19 Abs. 1, §§ 27, 27a Abs. 4 S. 1, § 2; EuFürsAbk Art. 1, 6-7, 11-14; AG-SGB XII NRW §§ 3, 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Buchst. a; AV-SGB XII NRW § 2 Abs. 1; SGB I § 30; BSHG § 97 Abs. 1 S. 1; AufenthG §§ 9, 28 Abs. 2

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.04.2018; Aktenzeichen B 8 SO 20/16 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 17.03.2015 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, in welchem Umfang Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch (SGB XII) für den Zeitraum 01.05.2013 bis 22.05.2013 zu erbringen sind.

Die im Jahre 1979 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige (mit Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz [AufenthG]). Im streitigen Zeitraum bezog sie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit in Höhe von 216,01 EUR. Erstmals für Juni 2011 gewährte die Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII.

Mit Bescheid vom 27.03.2013 gewährte die Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII für den Monat April 2013 i.H.v. 575,99 EUR. Die Klägerin hatte die Beklagte einige Tage zuvor darüber in Kenntnis gesetzt, dass ihr in der Türkei lebender Vater erkrankt sei und sie diesen besuchen wolle. Am 02.04.2013 flog die Klägerin zwecks Besuchs ihres Vaters in die Türkei. Ihre Anträge auf Übernahme der Reisekosten hatte die Beklagte zuvor mündlich abgelehnt. Mit Bescheid vom 29.04.2013 stellte die Beklagte die Leistungen nach dem SGB XII ab Mai 2013 vorläufig ein. Hiergegen legte die Klägerin am 15.05.2013 Widerspruch ein.

Am 22.05.2013 kehrte die Klägerin aus der Türkei zurück. Mit Bescheid vom 27.06.2013 gewährte die Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII i.H.v. 575,99 EUR für "Juli 2013". Ausweislich der aufgeführten Berechnungsabschnitte 5 und 6 bewilligte die Beklagte der Klägerin dabei grundsätzlich Hilfe zum Lebensunterhalt für Mai 2013 i.H.v. 65,03 EUR und für Juni 2013 i.H.v. 575,99 EUR. In der Begründung führte die Beklagte an, dass sich die Klägerin während des Aufenthalts in der Türkei nicht im Geltungsbereich des SGB XII aufgehalten habe. Die Klägerin hielt ihren Widerspruch aufrecht. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2013 half der Kreis M dem Widerspruch insoweit ab, dass er für den Monat Mai 2013 einen Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfe in Höhe der Unterkunfts- und Heizkosten für den gesamten Monat sowie einen Anspruch auf Regelleistung ab dem 22.05.2013 in Höhe von insgesamt 320,78 EUR anerkannte. Im Übrigen wies der Kreis M den Widerspruch als unbegründet zurück. In der Zeit vom 01.05.2013 bis 21.05.2013 sei der Regelsatz nicht zu gewähren. Gem. § 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII sei derjenige Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhalte. Tatsächlich habe sich die Klägerin in der Zeit vom 02.04.2013 bi...

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