Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Verrechnungsverbot der Krankenkasse bei Beanstandungen sachlicher Art gegenüber dem Vergütungsanspruch des Krankenhauses

 

Orientierungssatz

1. Zur Sicherstellung der Liquidität der Krankenhäuser können deren Träger mit den Krankenkassen Sicherstellungsverträge vereinbaren, die ein Verrechnungsverbot in Fällen der Beanstandung sachlicher Art zum Inhalt haben. Darin kann eine Verrechnung überzahlter Beträge für zulässig erklärt werden ausschließlich bei Beanstandungen rechnerischer Art sowie nach Rücknahme der Kostenzusage und falls eine Abrechnung auf vom Krankenhaus zu vertretenden unzutreffenden Angaben beruht.

2. Ob Kosten für eine bestimmte Behandlungsmaßnahme angesetzt werden können, ist eine Frage der sachlichen Prüfung. Wird nicht das Bestehen eines Rechenfehlers geltend gemacht, so liegt eine Beanstandung rechnerischer Art dem zur Verrechnung herangezogenen Anspruch nicht zugrunde.

3. Diese Regelung ist zur Sicherung der Liquidität des Krankenhausträgers erforderlich, weil anderenfalls ohne Einschränkung bei jedem Streit über die sachliche Berechtigung des Vergütungsanspruchs eine Verrechnung möglich wäre. Deshalb ist eine Verrechnung nur in geregelten Ausnahmefällen zulässig.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 15.05.2012 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger, der Träger der gemäß § 108 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur stationären Versorgung gesetzlich versicherter Patienten zugelassenen Universitätskliniken in N ist, begehrt die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

Der am 00.00.2004 geborene N H (H), der bei der Beklagten krankenversichert war, wurde in der Zeit vom 21.04.2004 bis 25.07.2004 interdisziplinär in der Klinik für pädiatrische Hämatologie/Onkologie der Universitätskliniken N stationär versorgt. Bei dem Patienten lag ein schwerer angeborener kombinierter Immundefekt mit infauster Prognose innerhalb des ersten Lebensjahres und allogener Blutstammzell-Transplantation als einzige kurative Therapieoption vor. Am 25.07.2004 verstarb der Patient.

Die Kosten der stationären Behandlung stellte der Kläger der Beklagten in elektronischer Form mit 137.916,23 EUR in Rechnung. Der Rechnungsbetrag beruhte im Wesentlichen auf dem Ansatz der Fallpauschale 11.04. i.H.v. 134.973,76 EUR.

Die Beklagte beglich die Rechnung und beauftragte nachfolgend nach Beiziehung des Operations- und Krankenhausentlassungsberichts die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDKN) mit der Überprüfung des Falls. Diese führten aus, dass H periphere Stammzellen von seiner Mutter erhalten habe. Im weiteren Verlauf habe sich eine Pneumonie mit respiratorischer Globalinsuffizienz entwickelt, an deren Folgen das Kind letztlich verstorben sei. Die Behandlung mittels Stammzellentransplantation erscheine plausibel, die medizinische Indikation sei nachzuvollziehen. Dem Kind seien die Stammzellen der Mutter ohne vorausgehende Konditionierungsbehandlung transfundiert worden, damit seien die Definition und die inhaltliche Anforderung der Fallpauschale 11 nicht erfüllt. Basis dieser Gruppe der Fallpauschalen sei jeweils eine myeloablative Behandlung. Die beantragte Fallpauschale 11.04 sei also im vorliegenden Fall aus formalen Gründen nicht anwendbar, da keine myeloablative Behandlung durchgeführt worden sei. Es werde eine Abrechnung mit tagesgleichen Pflegesätzen empfohlen (Stellungnahme vom 04.02.2005).

Die Beklagte bat den Kläger daraufhin um eine korrigierte Rechnung.

Der Kläger hielt hingegen seine Abrechnung für zutreffend. SCID-Patienten (severe combined immune deficiency-Patienten) seien von Natur aus konditioniert (immundefizient); mit den Krankenkassen sei vereinbart, dass Knochenmarktransplantationen bei Immundefizienz-Patienten wie konventionelle Transplantationen zu werten seien.

Die MDKN hielten an ihrer Beurteilung fest. Die Definition der Fallpauschale 11.04 beziehe sich auf die myeloablative Therapie mit Transplantation allogener haematopoetischer Stammzellen ab Konditionierungsphase. Vorliegend habe aber keine Konditionierungsphase stattgefunden; eine myeloablative Therapie sei deshalb nicht eingesetzt worden. Die Behandlung erfülle nicht die Definition der Fallpauschale 11.04 (Stellungnahme vom 25.04.2007).

Da der Kläger bei seiner Auffassung verblieb, nahm die Beklagte eine Verrechnung mit fallfremden Forderungen vor. Sie listete mit Schreiben vom 22.02.2008 diverse dem Kläger zustehende Abrechnungsbeträge aus anderen Behandlungsfällen auf, brachte davon den im Fall H gezahlten Betrag i.H.v. 137.916,23 EUR in Abzug und stellte gleichzeitig für die Behandlung des H einen Teilbetrag i.H.v. 60.554,73 EUR ein.

Mit seiner Klage vom 17.03.2009 hat der Kläger die Zahlung des Differenzbetrages von 77.361,50 EUR begehrt. Die Klage sei schon deshalb begründet, weil die Beklagte gegen das landesrechtlich normierte Aufrec...

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