Entscheidungsstichwort (Thema)
Parkotil. Restless-Legs-Syndrom. Arzneimittel. Zulassung. Off-Label-Use. Schwerwiegende Erkrankung. Behandlungsalternative. Wirksamkeitsnachweis. Phase-III-Studie. Rechtsschutzbedürfnis
Leitsatz (redaktionell)
Sofern keine Behandlungsalternative besteht, hat ein gesetzlich Krankenversicherter, der an einem Restless-Legs-Syndrom leidet, Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel “Parkotil” im Wege des sog. Off-Label-Use.
Normenkette
SGB V § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 31 Abs. 1, § 34 Abs. 1 S. 2
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 18.08.2004 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 06.11.2003 verurteilt, die Klägerin gemäß jeweiliger ärztlicher Verordnung mit dem Medikament Parkotil zu versorgen. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Versorgung mit dem Medikament "Parkotil" außerhalb des arzneimittelrechtlich zugelassenen Anwendungsgebietes hat.
Die 1925 geborene Klägerin leidet seit Jahren an einem Restless-Legs-Syndrom (RLS), das 1996 diagnostiziert worden ist. Das einzige zur Behandlung dieser Krankheit zugelassene Arzneimittel ist das Präparat Restex (Wirkstoff L-Dopamin). Die Klägerin wurde zunächst mit dem Medikament Narcom (ebenfalls Wirkstoff L-Dopamin) behandelt, bei dem nach anfänglicher guter Wirkung die Dosis erheblich gesteigert werden musste. Sie wurde im Mai 1998 auf das Präparat Sifrol, einen Dopaminagonisten, umgestellt. Wegen der Nebenwirkungen (Müdigkeit) erfolgte im Dezember 1999 die Umstellung auf den Dopaminagonisten Parkotil (Wirkstoff Pergolid). Dieses Medikament ist nur für die Behandlung des Morbus Parkinson zugelassen.
Die Klägerin erhielt das Medikament Parkotil bis November 2002 aufgrund vertragsärztlicher Verordnung. Da der behandelnde Neurologe Dr. I der Klägerin erklärte, dass er Parkotil nicht mehr verordnen könne, beantragte die Klägerin im Dezember 2002 bei der Beklagten die Bewilligung für eine zulassungsüberschreitende Anwendung (sogenannter off-label-use) von Parkotil. Dr. I gab in einer Bescheinigung an, mit Restex sei keine ausreichende Besserung der Beschwerden zu erzielen. Die Behandlung mit Parkotil folge den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Behandlung des RLS. Die Klägerin wies darauf hin, sie habe kurzfristig Restex eingenommen, nachdem ihr Arzt die weitere Verordnung von Parkotil abgelehnt habe. Ihr Zustand habe sich dadurch erheblich verschlechtert, die Schlafphasen seien kürzer geworden. Sie nehme nunmehr wieder Parkotil, unter dieser Medikation geht es ihr besser.
Die Beklagte holt ein Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein. Dr. U führte im Gutachten vom 09.12.2002 aus: Da kein Behandlungsprotokoll bezüglich des Einsatzes von Restex geführt worden sei, könne nicht beurteilt werden, ob noch eine Therapieoptimierungsmöglichkeit bestehe. Unabhängig davon lägen die Voraussetzungen für einen off-label-use zu Lasten der Krankenversicherung jedoch schon deshalb nicht vor, weil aufgrund der Datenlage nicht die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Die vorliegenden Studien erreichten nicht die "geforderte Evidenzklasse". An dieser Beurteilung hielt er im Gutachten vom 14.02.2003 fest.
Mit Bescheid vom 19.02.2003 lehnte die Beklagte daraufhin die Kostenübernahme für die Behandlung mit Parkotil ab. Mit ihrem Widerspruch übersandte die Klägerin zum einen eine Bestätigung von Dr. I., dass bei ihr ein schwergradiges RLS vorliege. Die Behandlung mit dem Medikament Parkotil sei am geeignetsten. Restex sei bei mehrfachen Versuchen wirkungslos gewesen. Ferner übersandte sie eine (vorgefertigte) Begründung der Deutschen Restless-Legs-Vereineinigung, in der ausführlich zu den Voraussetzungen für einen off-label-use Stellung genommen und die Auffassung vertreten wird, dass Parkotil ein Präparat sei, bei dem eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestehe. Bestandteil der Begründung ist eine Konsenserklärung von 12 Experten über den für die Behandlung des RLS nachgewiesenen Nutzen des Wirkstoffs Perkolid. Die Beklagte holte ein weiteres Gutachten von Dr. U. ein. Im Gutachten vom 07.10.2003 führte er aus: Nach Sichtung der vorliegenden Studien seien diese als unzureichend einzustufen. Die Fallzahlen seien zum Teil zu gering, ferner sei die Behandlungsdauer zu kurz gewesen. Außerdem bestünden methodische Ungereimtheiten und Unklarheiten bezüglich der unerwünschten Nebenwirkungen und Inkonsistenzen zwischen subjektiv berichteter Wirksamkeit und polysomnographischen Daten. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.11.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Zur Begründung der am 01.12.2003 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, entge...