Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlung des verwertbaren Vermögens bei Prüfung der Hilfebedürftigkeit im Sinn des SGB II;Unwirtschaftlichkeit bei der Verwertung einer Lebensversicherung. Voraussetzungen für die Annahme einer besonderen Härte i.S.v. § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II
Leitsatz (redaktionell)
1. Zur Beurteilung der Frage der Unwirtschaftlichkeit der Verwertung einer Lebensversicherung sind die eingezahlten Beiträge dem Rückkaufswert gegenüberzustellen. Ein Verlust von über 20 % bei der Verwertung einer Lebens- oder Rentenversicherung stellt eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit i.S.v. § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II dar.
3. Eine besondere Härte i.S.v. § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II ist anzunehmen, wenn die Umstände dem Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst recht als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte. Dies kann bei einem Verlust der Altersvorsorge, verbunden mit einer Versorgungslücke und einer atypischen Erwerbsbiographie, die zu Lücken im Versicherungsverlauf in der gesetzlichen Rentenversicherung geführt hat, angenommen werden.
2. Ein Pkw, der einen Verkehrswert von 7.500 Euro nicht überschreitet, stellt einen angemessenen Vermögensgegenstand i.S.v. § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB II dar.
Normenkette
SGB II §§ 7, 9 Abs. 1, § 12 Abs. 2, 3 S. 1 Nr. 6
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 15.01.2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger auch im Berufungsverfahren zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 07.12.2005 bis zum 31.03.2006 streitig.
Die am 00.00.1971 geborene Klägerin zu 1) und der am 00.00.1966 geborene Kläger zu 2) sind Partner in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Sie leben in Bedarfsgemeinschaft mit dem 2002 geborenen Kläger zu 3) und dem 2005 geborenen Kläger zu 4). Für die Kläger zu 3) und 4) wurde im streitigen Zeitraum Kindergeld gewährt. Ein Antrag auf Kinderzuschlag vom 04.10.2005 lehnte die Familienkasse mit Bescheid vom 30.12.2005 mit der Begründung ab, das Einkommen und/oder Vermögen erreiche in den Monaten ab August 2005 bis fortlaufend nicht die Mindesteinkommensgrenze.
Der Kläger zu 2) übte nach eigenen Angaben ab Januar 1992 eine selbstständige Tätigkeit mit einer kurzen Unterbrechung im Jahre 1992 (Monate Mai bis August) ca. 14 Jahre aus. Nach der (in der Verwaltungsakte abgehefteten, nicht unterschriebenen) Gewerbeabmeldung vom 15.08.2005 erfolgte die Betriebsaufgabe zum 01.09.2005. Seit dem 03.03.2006 geht der Kläger zu 2) einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Die Auszahlung des Lohnes für Monat März 2006 erfolgte im April. Die Klägerin zu 1) nahm ab dem 01.05.2006 eine Beschäftigung als Bürokraft, die sie bereits vor dem Mutterschutz ausgeübt hatte, wieder auf. Die Kläger sind Eigentümer eines BMW 523i (Unfallwagen), Erstzulassung August 1998, sowie eines BMW 318, Baujahr 1997.
Am 07.12.2005 beantragten die Kläger bei der Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Zu diesem Zeitpunkt war die Aufnahme der Beschäftigung des Klägers zu 2) im März 2006 noch nicht voraussehbar. Im Antrag führten sie aus, der Kläger zu 2) sei aufgrund einer selbstständigen Tätigkeit von der Rentenversicherungspflicht befreit. Nach Mitteilung der E Lebensversicherung AG vom 19.08.2005 verfügte der Kläger zu 2) über eine Rentenversicherung mit einem Rückkaufswert zum Stichtag vom 01.09.2005 in Höhe von 3.886,93 Euro. Dem standen zum 01.09.2005 eingezahlte Beiträge in Höhe von 4.806,22 Euro gegenüber. Des Weiteren verfügte der Kläger zu 2) bei der W Lebensversicherung AG über eine Rentenversicherung mit einem Rückkaufswert zum 01.09.2005 in Höhe von 9.465,27 Euro (Schreiben vom 17.08.2005). Dem standen bis zum 01.09.2005 eingezahlte Beiträge in Höhe von 11.886,94 Euro gegenüber. Dieser Vertrag begann am 01.03.1992 und endet zum 01.10.2026. Die garantierte Altersrente ab 01.10.2026 wurde mit 193,63 Euro beziffert.
Mit Bescheid vom 27.01.2006 lehnte die Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ab. Das Vermögen der Kläger überschreite mit einem Betrag von 6.566,12 Euro die Schonvermögensgrenze des § 12 Abs. 2 SGB II (a.F.). Dabei übersteige die Summe der Lebensversicherungen in Höhe von 16.939,40 Euro den Vermögensfreibetrag um 3.984,12 Euro. Auch der Wert der beiden Autos überschreite den Freibetrag um 2.582,00 Euro. Für jeden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen gäbe es gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 2 SGB II einen Freibetrag für ein angemessenes Kraftfahrzeug in Höhe von 5.000,00 Euro. Nach dem Wertermittlungsprogramm der T-Versicherung betrage der Vermögenswert der beiden Autos insgesamt 12.582,00 Euro. Aus der dem Bescheid beigefügten Vermögensaufstellung geht hervor, dass die Beklagte für den BMW 318, Baujahr 1997 einen Betrag von 4.173,00 Euro und...