Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erwerbsminderungsrente - Verschlossenheit des Arbeitsmarktes - Wegefähigkeit
Orientierungssatz
1. Erwerbsgemindert gemäß § 43 Absatz 3 SGB VI ist, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
2. Der Arbeitsmarkt gilt als verschlossen, wenn der Versicherte trotz eines sechsstündigen Leistungsvermögens nicht in der Lage ist, Erwerbseinkommen zu erzielen, weil er nicht wegefähig ist.
3. Das ist der Fall bei fehlender Wegefähigkeit, d. h. wenn er nicht in der Lage ist, täglich viermal eine Wegstrecke von etwas mehr als 500 m innerhalb von 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeit zu benutzen, es sei denn, es steht ihm ein Kraftfahrzeug werktäglich zur Verfügung.
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.09.2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die erneute Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit ab Mai 2017.
Der 0000 geborene Kläger (verheiratet, vier Kinder) verfügt über keine Ausbildung; nach seinem Hauptschulabschluss war er als Hilfsarbeiter, Bauhelfer und Lkw-Fahrer tätig; im Jahr 2010 erkrankte er aufgrund eines Verkehrsunfalls arbeitsunfähig; seitdem erhält er von der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltung (BGF) Verletztenrente und geht keiner Tätigkeit mehr nach. Seit 2011 ist bei ihm ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt.
Auf seinen 2012 gestellten Antrag auf Erwerbsminderungsrente, den er damit begründete, er halte sich seit seinem Verkehrsunfall 2010 für erwerbsgemindert, bewilligte die Beklagte dem Kläger eine zunächst für die Zeit von Januar 2012 bis Oktober 2013 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung; die Befristung wurde in der Folgezeit zunächst bis Juni 2016 verlängert. Die Bewilligung und die Verlängerung beruhten dabei auf der Auswertung der von der Bundesagentur für Arbeit übersandten medizinischen Unterlagen (die auch die medizinischen Unterlagen der Berufsgenossenschaft mitgesandt hatte), Befundberichten des Internisten und Hausarztes B. und des Chirurgen H. sowie einem Gutachten des Y. (Facharzt für Orthopädie, Sozialmedizin), der auf der Grundlage einer im Januar 2014 durchgeführten ambulanten Begutachtung des Klägers in seinem Gutachten vom 31.01.2014 zu dem Ergebnis gelangte, der Kläger verfüge auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch über ein arbeitstägliches drei- bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen und sei derzeit aufgrund der Funktionsstörungen im Bereich der unteren Extremitäten wegeunfähig, wobei diese zunächst für zwei Jahre gesehen werden müsse, danach solle eine Nachuntersuchung erfolgen.
Im Rahmen des im Juni 2016 vom Kläger eingeleiteten Verfahrens auf erneute Rentenbewilligung verlängerte die Beklagte die Befristung für die Dauer ihrer Ermittlungen weiter bis (einschließlich) April 2017. Im Anschluss bezog der Kläger vom Mai 2017 bis zum 25.05.2018 Arbeitslosengeld I; danach weist der Versicherungsverlauf des Klägers - der erstmals für 1994 Zeiten aufweist und für die Zeit seit 1997 neben vereinzelten Pflichtbeitragszeiten wegen versicherungspflichtiger Beschäftigung regelmäßig Zeiten des Bezugs von Leistungen eines Sozialleistungsträgers bzw. der Bundesagentur für Arbeit und für die Zeit seit Ende 2008, außer für Juli bis Anfang September 2010 (hier Pflichtbeitragszeit wegen versicherungspflichtiger Beschäftigung), ausschließlich Zeiten von Sozialleistungs- bzw. Rentenbezug ausweist - keine Zeiten mehr auf.
Im Rahmen ihrer Ermittlungen holte die Beklagte erneut einen Befundbericht von H. (von Juli 2016) und erneut ein Gutachten von Y. ein, der auf der Grundlage einer im November 2016 durchgeführten ambulanten Begutachtung des Klägers in seinem Gutachten vom 21.11.2016 zu dem Ergebnis gelangte, dass unter Berücksichtigung einer Funktionseinschränkung der LWS (bei Lumbalsyndrom bei BS-Schäden) und der Hand- und Kniegelenke nunmehr nach Anpassung und Gewöhnung ein Leistungsvermögen des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte Arbeiten, überwiegend im Sitzen, für mehr als sechs Stunden vorliege; eine Einschränkung der Wegefähigkeit werde aus orthopädisch-sozialmedizinischer Sicht nicht mehr gesehen; der Kläger sei wieder in der Lage, mehr als viermal 500 Meter in weniger als 20 Minuten arbeitstäglich zurückzulegen; es bleibe, die Gehstörung aus neurologischer Sicht abzuklären, so dass auch wegen der vom Kläger beklagten Depression die Beziehung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens empfohlen werde. In dem daraufhin von O. (Facharzt für Nerven...