Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. fiktive Bemessung wegen Mutterschutz- und Erziehungszeiten. Erweiterung des Bemessungszeitraums und -rahmens. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Auch wenn der Bemessungszeitraum im erweiterten Bemessungsrahmen (§ 130 Abs 3 SGB 3) durch Erziehungszeiten weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält, ist eine Verlängerung, Verschiebung oder Teilung des Bemessungsrahmens wegen Mutterschutz- bzw Erziehungszeiten in Anwendung des § 130 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB 3 nicht möglich.
2. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes nach Qualifikationsgruppen gem § 132 SGB 3 bestehen selbst dann nicht, wenn Mutterschutz- und Erziehungszeiten hierfür ursächlich sind.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 27.06.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Arbeitslosengeldes.
Die Klägerin ist von Beruf Kauffrau im Groß- und Außenhandel. Sie war ab 01.10.1998 als sachbearbeitende Disponentin im Kundendienst beschäftigt. Vom 24.01.2002 bis 24.01.2005 ist sie nicht beschäftigt gewesen wegen eines Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz und sich daran anschließenden Erziehungsurlaubs (Geburt des Kindes 00.01.2002). Am 25.01.2005 wurde sie aus betriebsbedingten Gründen unter Freistellung von der Arbeitsleistung zum 31.03.2005 gekündigt.
Die Klägerin meldete sich am 27.01.2005 zum 01.04.2005 arbeitslos.
Mit Bescheid vom 19.04.2005 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld für 360 Kalendertage in Höhe von 21,69 EUR täglich. Grundlage der Berechnung war eine tägliches Arbeitsentgelt in Höhe von 64,40 EUR, die Steuerklasse V und der erhöhte Leistungssatz von 67%. Die Bemessung des Arbeitslosengeldes begründete die Beklagte mit Schreiben vom 25.04.2005 damit, dass der Bemessung gem. § 132 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III - ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde gelegt worden sei, weil innerhalb von 2 Jahren vor Anspruchsbeginn nicht mindestens 150 Tage mit Arbeitsentgelt festgestellt werden konnten. Das fiktive Arbeitsentgelt sei aufgrund der Zuordnung zu einer Qualifikationsgruppe festzusetzen gewesen, und zwar nach Qualifikationsstufe 3 (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 SGB III), weil sich die Vermittlungsbemühungen in erster Linie auf eine Beschäftigung erstrecken würden, für die eine Ausbildung erforderlich sei.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie geltend machte, der Berechnung sei das von ihr in den letzten 12 Monaten ihrer Berufstätigkeit erzielte Gehalt zugrunde zu legen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2005 zurück.
Dagegen erhob die Klägerin am 13.06.2005 vor dem Sozialgericht Dortmund (SG) Klage. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, bei Ausklammerung ihrer Zeiten für Mutterschutz und Erziehungsurlaub sei von einem Bemessungszeitraum ab 01.04.2001 auszugehen. In diesem Zeitraum seien 150 Tage Arbeitsentgelt angefallen. Sie verwies im Übrigen auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Berlin vom 29.05.2006 (S 77 AL 961/06).
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 19.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2005 teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr höheres Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung des Arbeitsentgelts vor Eintritt von Mutterschafts- und Erziehungszeiten zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat durch Urteil vom 27.06.2006 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe das Arbeitslosengeld der Klägerin in zutreffender Höhe entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen berechnet. Nach § 132 SGB III sei das Bemessungsentgelt fiktiv festzustellen, wenn ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf 2 Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden könne. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Bei dem Ausscheiden der Klägerin aus ihrem Beschäftigungsverhältnis am 31.03.2005 hätten sich in den 2 Jahren davor keine 150 Tage mit Arbeitsentgelt feststellen lassen. Eine Erweiterung des Zweijahreszeitraums auf mehr als 2 Jahre sei in § 130 Abs. 3 SGB III nicht vorgesehen. Die Kammer halte - im Gegensatz zu der von der Klägerin vorgelegten Entscheidung des Sozialgerichts Berlin - die gesetzlichen Vorschriften wegen ihres eindeutigen Wortlauts nicht für dahingehend auslegbar, dass eine Verlängerung über 2 Jahre hinaus vorgenommen werden könnte. Die Kammer habe auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschriften §§ 130, 132 SGB III. Die fiktive Einstufung nach § 132 SGB III orientiere sich nach 4 Stufen der beruflichen Qualifikation der Vers...