Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit des Beweis des ersten Anscheins bei der Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen

 

Orientierungssatz

1. Der Anspruch auf Gewährung von Witwenrente setzt nach § 46 Abs. 2 S. 1 SGB 6 u. a. voraus, dass der verstorbene Versicherte die Wartezeit erfüllt hat. Diese beträgt nach § 50 Abs. 1 S. 1 SGB 6 fünf Jahre.

2. Rechte aus zurückgelegten Beitragszeiten können nicht mehr hergeleitet werden, wenn die Rentenversicherung die gezahlten Beiträge erstattet hat und die Anwartschaft damit erloschen ist. Durch die Beitragserstattung wird das zuvor bestehende Versicherungsverhältnis aufgelöst. Ansprüche aus den bis zur Beitragserstattung zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten bestehen nicht mehr.

3. Eine rechtswirksame Beitragserstattung setzt voraus, dass ein Erstattungsantrag, ein wirksamer Erstattungsbescheid und eine rechtswirksame befreiende Bewirkung der Leistung vorliegen.

4. Soweit Beweisunterlagen fehlen, ist eine Beweisführung nach dem Beweis des ersten Anscheins zulässig. Ein durch nachweislich bekannt gegebenen bewilligenden Bescheid abgeschlossenes Verwaltungsverfahren zur Beitragserstattung lässt bei Fehlen entgegenstehender Tatsachen typischerweise den Schluss zu, dass dem Bescheid ein Erstattungsantrag vorausgegangen und die geschuldete Leistung anschließend bewirkt worden ist.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 7.8.2013 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist (große) Witwenrente.

Die 1942 geborene Klägerin ist marokkanische Staatsangehörige und lebt in Marokko. Sie ist die Witwe des im Jahre 1940 geborenen und am 3.4.2000 verstorbenen N I, der von 1964 bis 1984 in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt war, zunächst bis 1973 im deutschen Steinkohlenbergbau, anschließend bei Arbeitgebern außerhalb des Bergbaus.

Im Januar 2004 wandte sich die Klägerin erstmals an die Beklagte mit dem Antrag, ihr die aus der Versicherung ihres Ehemanns zustehenden Rechte zu gewähren. Sie legte ein Schreiben der Bundesknappschaft C vom 31.10.1983 vor (gerichtet an ihren Ehemann - damals wohnhaft in N), das die Mitteilung enthält, das Versicherungsverhältnis sei bis zum 22.11.1982 als geklärt anzusehen. Dem Antrag fügte sie weitere Unterlagen bei, insbesondere Geburtsurkunden der 8 gemeinsamen Kinder.

Die Beklagte entnahm den bei ihr gespeicherten Angaben aus dem Versicherungskonto des Ehemanns der Klägerin, dass diesem die Beiträge für die Zeit vom 22.4.1964 bis zum 29.6.1984 mit Bescheid vom 16.1.1985 erstattet worden seien, und lehnte deshalb ab, der Klägerin Witwen- und den 8 gemeinsamen Kindern Waisenrente zu gewähren (jeweils gleichlautende Bescheide vom 6.2.2004). Den Widerspruch der Klägerin gegen die Ablehnung der Witwenrente wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 18.5.2004, zugestellt am 4.6.2004). Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Im Jahr 2005 meldete sich der Sohn der Klägerin J I und bat die Beklagte, ihm Informationen hinsichtlich der Aktenlage seines verstorbenen Vaters an die Hand zu geben. Er lebe in einer sehr komplizierten Situation und bitte daher, ihm so schnell wie möglich Auskünfte zu übermitteln. Nachdem sich J I Anfang 2006 erneut in gleicher Angelegenheit gemeldet und in Ablichtung einen "Antrag auf Sparprämie" seines Vaters für 1979 beigefügt hatte, behandelte die Beklagte sein Anliegen als Antrag auf Gewährung einer Rentenleistung aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Diesen Antrag lehnte sie ab, weil wegen der Erstattung auf die Wartezeit anrechenbare deutsche Versicherungszeiten nicht mehr vorhanden seien (Bescheid vom 16.1.2006).

Im Februar 2006 gingen bei der Beklagten einige Unterlagen ohne Anschreiben ein. Dazu gehörte u.a. eine auf den Sohn J I ausgestellte Vollmacht der Klägerin und ihrer übrigen Kinder, die diesen berechtigte, für sie in allen behördlichen Angelegenheiten zu handeln und finanzielle Ansprüche geltend zu machen, die sich aus dem Nachlass des verstorbenen Vaters ergeben, und alle notwendigen Anträge für die deutschen und marokkanischen Behörden zu formulieren. Außerdem beigefügt war "Blatt 02" eines Erstattungsbescheides vom 16.1.1985, überschrieben mit "Berechnung des Erstattungsbetrages", worin die vom 22.4.1964 bis zum 6.2.1973 zur knappschaftlichen Rentenversicherung und vom 18.9.1973 bis 29.6.1984 zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichteten Versichertenentgelte und die daraus errechneten anteiligen Arbeitnehmerbeiträge zu einem Erstattungsbetrag von insgesamt 36.128,09 DM addiert werden. Die Beklagte bearbeitete diese Unterlagen als "erneute" Anträge auf Gewährung einer Rentenleistung aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung und lehnte gegenüber der Klägerin die Gewährung einer Witwenrente und gegenüber den 8 gemeinsamen Kindern die Gewährung einer Waisenrente ab (jeweils gleichlautende Bescheide vom 24.3.2006). Diese Bescheide wurden bestands...

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