Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Erstattungsanspruch des Grundsicherungsträgers wegen Herbeiführung der Bedürftigkeit
Orientierungssatz
1. Ein Erstattungsanspruch des Grundsicherungsträgers wegen einer mindestens grob fahrlässigen Herbeiführung der Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende setzt auch voraus, dass dem ein sozialwidriges Verhalten zugrunde lag. Dabei kommt es für die Beurteilung der Sozialwidrigkeit auf die Handlungstendenz des Bedürftigen an, die gerade darauf gerichtet sein muss, die Hilfsbedürftigkeit herbei zu führen.
2. Einzelfall zur Beurteilung des Vorliegens eines sozialwidrigen Verhaltens in Bezug auf die Herbeiführung einer Hilfebedürftigkeit als Grundlage für einen Erstattungsanspruch des Grundsicherungsträgers (hier: Sozialwidrigkeit verneint).
Tenor
Die Urteile des Sozialgerichts Köln vom 11.03.2016 werden geändert. Der Bescheid vom 05.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2015 und vom 01.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2015 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Ersatzansprüchen nach § 34 SGB II bezüglich in den Zeiträumen vom 01.07.2014 bis 31.10.2014 und vom 01.11.2014 bis 30.04.2015 gewährter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Seit 2001 lebt die am 00.00.1975 in Teheran geborene Klägerin in Deutschland. Sie ist die Mutter dreier Kinder. Nach dem Tod ihres Ehemannes im Jahr 2012 bezogen die Klägerin und ihre Kinder bis 30.06.2013 Leistungen nach dem SGB II. Aus der von dem verstorbenen Ehemann zugunsten der Klägerin abgeschlossenen Lebensversicherung erhielt die Klägerin am 19.06.2013 einen Betrag von 149.985,03 Euro auf das Konto einer Rechtsanwältin ausgezahlt, die am 16.07.2013 einen Betrag von 140.000,00 Euro und am 26.07.2013 einen Betrag von 7.020,04 Euro auf ein im Juli 2013 neu eröffnetes Konto der Klägerin überwies.
Die Klägerin transferierte insgesamt 80.000,00 Euro in den Iran. Der internationale Datenverkehr nach dem SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) mit iranischen Banken war seit dem 17.03.2012 aufgrund der von der Europäischen Union verhängten Sanktionen unterbrochen. Vor diesem Hintergrund hob die Klägerin ab dem 21.11.2013 drei Barbeträge ab (14.000,00 Euro, 5.000,00 Euro und 11.000,00 Euro) und gab 3 x 10.000,00 Euro an drei Bekannte weiter, die über Weihnachten in den Iran flogen und die Geldbeträge der Mutter der Klägerin zur Aufbewahrung übergaben. Am 28.11.2013 überwies die Klägerin weitere 50.000,00 Euro an einen Bekannten, der seinen Onkel im Iran anwies, das Geld der Mutter der Klägerin auszuzahlen.
Am 03.01.2014 reiste die Klägerin in den Iran. Dort schloss sie am 30.01.2014 mit Herr I (Herr I), einem Kaufmann, einen auf ein Jahr befristeten "Investitionsvertrag" über eine Summe von 3.000.000.000 iranische Rials / 300.000.000 Tomans (ca. 82.000,00 Euro). Diese Währung war im Ausland nicht konvertierbar. Die anfallenden Zinsen zahlte Herr I monatlich auf ein Bankkonto der Klägerin im Iran ein. In unregelmäßigen Abständen, ca. alle zwei Monate, brachten angestellte Taxifahrer eines Bekannten Beträge zwischen 1.000,00 und 1.300,00 Euro nach Deutschland und übergaben sie der Klägerin. Diese bezog daneben monatlich Kindergeld i.H.v. insgesamt 558,00 Euro, eine Witwenrente i.H.v. 190,30 Euro, Waisenrente i.H.v. 75,31 Euro für jedes Kind sowie Pflegegeld für ein Kind i.H.v. 700,00 Euro. Die Bruttowarmmiete betrug 1.140,00 Euro.
Am 04.01.2014 heiratete die Klägerin im Iran Herrn T (Herr T), den ursprünglichen Kläger zu 2) in dessen Abwesenheit. Diesen hatte sie im Juli 2013 während eines Urlaubs in Teheran kennengelernt und beabsichtigte ursprünglich, mit ihm im Oktober 2013 Urlaub in der Türkei zu machen, bis dieser die Nachricht erhielt, dass er als zum Christentum konvertierter Moslem in Gefahr sei. Herr T besorgte sich ein gefälschtes Visum, flog von der Türkei nach Deutschland und stellte im Oktober 2013 einen Asylantrag, dem im April 2014 stattgegeben wurde. Bis zur Anerkennung als Asylberechtigter bezog Herr H. Leistungen nach dem AsylbLG. Im April 2014 zog Herr H. zu der Klägerin. Im Oktober 2014 trennte sich das Ehepaar.
Am 29.07.2014 stellte die Klägerin beim Beklagten einen Leistungsantrag und gab an, sie sei vom Jobcenter aufgefordert worden, das Geld aus der Lebensversicherung ihres Ehemannes nach Deutschland zu bringen und davon zu leben. Am 28.06.2014 sei ihr das Geld im Iran gestohlen worden. Sie legte ein Protokoll der Polizei in Teheran vor, wonach sie am 28.06.2014 den Diebstahl von 70.000,00 Euro und eines Handys aus ihrem Kraftfahrzeug angezeigt hat. Laut diesem Protokoll gab die Klägerin an, sie habe am 27.06.2014 um 21.30 Uhr das Kraftfahrzeug vor dem Haus E T Str., O H Nr. 00 geparkt und am 28.06.214 um 11.30 Uhr festgeste...