Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Erlöschen. selbständige Tätigkeit. Versäumung der Ausschlussfrist. Verlängerung. Verfassungsmäßigkeit. Beratungsfehler. Treu und Glauben
Orientierungssatz
1. Die Rechtsprechung des BSG zu § 125 Abs 2 AFG, dass diese Bestimmung eine Ausschlussfrist zum Inhalt hat, die ohne Hemmungs- und Unterbrechungsmöglichkeiten kalendertäglich abläuft (vgl BSG vom 29.4.1998 - B 7 AL 30/97 R = SozR 3-4100 § 107 Nr 10), ist auch auf § 147 Abs 2 SGB 3 übertragbar. Dabei wird nicht verkannt, dass die mit Einführung des SGB 3 geänderten Vorschriften über die Rahmenfrist - insbesondere die Einführung der sogenannten Verlängerungstatbestände - Auswirkungen auf die durch § 147 Abs 2 SGB 3 erfassten Sachverhalte haben und deshalb eine Anpassung naheliegend gewesen wäre (vgl LSG Celle-Bremen vom 30.1.2003 - L 8 AL 536/01).
2. § 147 Abs 2 SGB 3 ist nicht gesetzeserweiternd unter Einbeziehung der Streckungstatbestände des § 124 SGB 3 auszulegen. Insbesondere im Falle einer selbstständigen Tätigkeit besteht hierfür keine Veranlassung, weil der Gesetzgeber durch § 124 Abs 3 S 1 Nr 3 SGB 3 überhaupt erst die Möglichkeit geschaffen hat, eine abhängige Beschäftigung anspruchsbegründend zu nutzen, die zeitlich noch vor einer mehr als zweijährigen selbstständigen Tätigkeit liegt.
3. Es verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG, wenn ein Streckungstatbestand im Sinne von § 124 Abs 3 SGB 3 die Anwartschaftszeit für bis zu 2 Jahren bei einer selbstständigen Tätigkeit nicht beeinträchtigt, derselbe Tatbestand jedoch die Rechtsfolge herbeiführen mag, dass der Arbeitslosengeldanspruch nicht mehr geltend gemacht werden kann.
4. Der Bundesanstalt für Arbeit ist es verwehrt, sich auf die Rechtsfolge des § 147 Abs 2 SGB 3 zu berufen, wenn dies als Verstoß gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben anzusehen wäre.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld ab 05.11.2001.
Der Kläger war vom 13.03.1995 bis 30.09.1997 als Assistent der Geschäftsleitung bei der Firma L versicherungspflichtig beschäftigt. Nach Beendigung dieses Arbeitsverhältnisses meldete er sich am 01.10.1997 arbeitslos und bezog vom 11.10.1997 bis 31.03.1998 Arbeitslosengeld. Für die Zeit vom 01.10.1997 bis 10.10.1997 stellte die Beklagte das Ruhen des Anspruchs wegen einer Urlaubsabgeltung fest. Es verblieb am 31.03.1998 ein Restanspruch auf Arbeitslosengeld für 193 Kalendertage.
Vom 01.04.1998 bis 31.08.2000 war der Kläger als beratender Betriebswirt selbstständig tätig. Vom 15.09.2000 bis 09.03.2001 war er als Key-Account-Manager bei der Firma E GmbH wiederum versicherungspflichtig beschäftigt. Der Kläger meldete er sich zum 10.03.2001 erneut arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 15.05.2001 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld auf Grund des noch vorhandenen Restanspruchs auf Arbeitslosengeld aus dem Jahre 1997. Zum 01.05.2001 meldete sich der Kläger wieder aus dem Leistungsbezug ab. Er nahm eine selbständige Tätigkeit auf, für die ihm die Beklagte Überbrückungsgeld für die Dauer von 6 Monaten gewährte. Es verblieb ein Restanspruch auf Arbeitslosengeld für noch 141 Leistungstage.
Am 05.11.2001 meldete sich der Kläger schließlich erneut arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld.
Mit Bescheid vom 09.11.2001 lehnte die Beklagte diesen Antrag des Klägers mit der Begründung ab, der Kläger habe keinen neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben und sein alter Anspruch auf Arbeitslosengeld sei erloschen.
Dagegen legte der Kläger mit der Begründung Widerspruch ein, durch die selbständigen Tätigkeiten müssten die Erlöschensfristen verlängert werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus: Anspruch auf Arbeitslosengeld habe nach § 117 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) nur, wer u. a. die Anwartschaftszeit erfüllt habe. Diese habe nach § 123 SGB III grundsätzlich erfüllt, wer in der Rahmenfrist 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe.
Die grundsätzlich drei Jahre betragende und mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld beginnende Rahmenfrist reiche nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt habe (§ 124 Abs. 1, 2 SGB III). In die Rahmenfrist würden gem. § 124 Abs. 3 Nr. 3 SGB III die Zeit einer selbständigen Tätigkeit nicht eingerechnet. Die Rahmenfrist ende in diesem Fall jedoch längstens nach fünf Jahren seit ihrem Beginn. Die Rahmenfrist nach § 124 SGB III umfasse somit den Zeitraum vom 01.10.1997 - dem Tag nach dem Ende der vorangegangenen Rahmenfrist, in der die Anwartschaftszeit als Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld ab Oktober 1997 erfüllt worden sei - bis 04.11.2001. Innerhalb dieser Rahmenfrist könnte nur die Tätigkeit bei der Firma Eulox vom...