Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung wegen bei Antragstellung verschwiegenen Vermögens

 

Orientierungssatz

1. Hilfebedürftig i. S. der §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB 2 ist nicht, wer u. a. über verwertbares Vermögen i. S. des § 12 SGB 2 verfügt, das oberhalb der für ihn geltenden Vermögensfreigrenze liegt und ausreicht, um seinen monatlichen Bedarf i. S. des § 12 SGB 2 zu decken.

2. Fehlt es bei der Übertragung eines Aktiendepots an deren Wirksamkeit für den Grundsicherungsberechtigten, so steht es für diesen in seiner vollen Höhe zur Verfügung.

3. Bei einem Aktiendepot handelt es sich um verwertbares Vermögen i. S. des § 12 Abs. 1 SGB 2, weil es einen frei handelbaren Vermögenswert darstellt (BSG Urteil vom 23. 5. 2012, B 14 AS 100/11 R).

4. Vorhandenes, zu verwertendes und verwertbares Vermögen ist solange zu berücksichtigen, wie es tatsächlich dem Grundsicherungsberechtigten zur Verfügung steht.

5. Bewilligte Leistungen der Grundsicherung sind nach § 45 SGB 10 rückwirkend aufzuheben, wenn der Leistungsempfänger das Aktiendepot bei der Antragstellung nicht angegeben hat.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 30.10.2020; Aktenzeichen B 4 AS 266/20 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 17.11.2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme und Erstattung von zunächst gewährten Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) wegen nicht angegebenen Vermögens in Form eines Aktiendepots. Betroffen sind die Leistungen für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.10.2010. Der Beklagte verlangt die Erstattung eines Betrages von insgesamt 67.031,76 Euro.

Der am 00.00.1963 geborene Kläger war seit seiner Geburt bis zum 29.08.2011 mit erstem Wohnsitz in der U-Str. 00 in N gemeldet. Dabei handelt es sich um sein Elternhaus, in dem der Kläger ein eigenes Zimmer mit Waschgelegenheit und WC bewohnte. Einen Mietvertrag gab es nicht. Miete zahlte er hierfür im streitgegenständlichen Zeitraum nicht.

Seit dem 01.02.1999 hat der Kläger eine 2- Zimmer-Wohnung mit 69,7 m2 Wohnfläche in der M-Allee 00 in N1 angemietet. Ausweislich des Mietvertrages fielen hierfür monatlich 870,00 DM Grundmiete zzgl. 66,00 DM Heizkosten zzgl. 297,00 DM Betriebskosten an. Im Zeitpunkt des Antrags auf SGB II-Leistungen im September 2004 betrugen die Kosten der Unterkunft für diese Wohnung ausweislich der Erklärung des Klägers monatlich 445,00 Euro Grundmiete, 148,65 Euro Betriebskosten und 29,35 Euro Heizkosten. Die Warmwasseraufbereitung erfolgt dezentral mit einem Boiler. Im April 2004 meldete der Kläger die Wohnung in der M-Allee 00 in N1 als Nebenwohnung an. Der Kläger absolvierte von 1984 bis 1990 ein Studium der Volkswirtschaft, von 1990 bis 1991 ein Auslandsstudium der English Studies in England und war von 1994 bis 1998 als Angestellter in Luxemburg tätig. Der Kläger verdiente 1998 brutto 80.157,00 DM und 1999 brutto 114.762,00 DM. Nach Beendigung des letzten Beschäftigungsverhältnisses bezog der Kläger ab September 2001 bei der Arbeitsagentur in N Arbeitslosengeld und ab 20.09.2002 Arbeitslosenhilfe bei der Arbeitsagentur N. Die Akten hierüber liegen ausweislich der Auskunft der Bundesagentur für Arbeit vom 22.05.2019 nicht mehr vor.

Der Kläger war für die Zeit von August 2001 bis zum 18.05.2011 als Inhaber des Depots Nr. 00 mit dazugehörigem Referenzkonto Nr. 000 - zunächst bei der Firma G S.A. (G), ab 2008 übernommen von der P Bank (P) - ausgewiesen. Mit Stichtag 18.05.2011 wurden auf Antrag des Klägers vom 12.05.2011 das Depotkonto und das Referenzkonto des Klägers bei der P aufgelöst und Wertpapiere im Wert von 7.446,56 Euro auf das Depotkonto des Vaters des Klägers übertragen. Der Restbestand von 13,27 Euro wurde vom Referenzkonto des Klägers an seinen Vater überwiesen. Gemäß § 12 Abs. 2 der am 03.08.2001 zwischen dem Kläger und G abgeschlossenen Vereinbarung über die Ausführung von Wertpapier- und Termingeschäften bedurfte die Abtretung von Rechten, Ansprüchen und Forderungen, z.B. Kontoguthaben und sonstigen Positionen des Kunden, die ihm gegen G zustanden, deren vorheriger schriftlicher Zustimmung; gleichlautend die Bedingungen von P. Depot und Referenzkonto wiesen von der Zeit der Eröffnung im August 2001 bis zur wirksamen Übertragung auf Konten des Vaters des Klägers mit Stichtag 18.05.2011 die folgenden Wertstellungen auf:

Depotstand zum - Referenzkontostand zum - Summe

16.08.2001: 46.016,27 Euro - 46.016,27 Euro

28.06.2002: 27.421,38 Euro - 28.06.2002: 1.955,33 Euro - 29.376,71 Euro

30.09.2002: 16.632,58 Euro - 30.09.2002: 2.059,02 Euro - 20.297,87 Euro

31.12.2002: 18.868,00 Euro - 31.12.2002: 11.180,72 Euro - 30.048,72 Euro

31.03.2003: 17.210,26 Euro - 31.03.2003: 9727,68 Euro - 26.937,94 Euro

30.06.2003: 22.847,96 Euro - 30.06.2003: 9750,35 Euro - 32.598,31 Euro

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