Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Leistungspflicht der Krankenkasse für eine operative Brustverkleinerung
Orientierungssatz
1. Die Leistungspflicht der Krankenkasse für eine Heilbehandlung setzt nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB 5 das Bestehen einer Krankheit voraus. Diese verlangt die Beeinträchtigung einer Körperfunktion oder eine entstellende Wirkung der anatomischen Abweichung (Anschluss: BSG, Urteil vom 28. Februar 2008, B 1 KR 19/07 R; NZS 2009, 95).
2. Bei einer übergroßen weiblichen Brust ist das Vorliegen einer Krankheit dann zu bejahen, wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt. Eine krankheitswertige Entstellung ist erst dann anzunehmen, wenn die erhebliche Auffälligkeit Neugier oder Betroffenheit erzeugt und erwarten lässt, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung Anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen oder zu vereinsamen droht, so dass die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist (Anschluss: BSG, Urteil vom 28. Februar 2008, B 1 KR 19/07 R; NZS 2009, 95).
3. Die Krankenkasse ist nicht verpflichtet, zur Behebung einer psychischen Störung die Kosten eines operativen Eingriffs in Form einer Brustverkleinerung zu übernehmen (Anschluss: BSG, Urteil vom 28. Februar 2008, B 1 KR 19/07 R; NZS 2009, 95).
4. Solange der Nutzen einer Brustverkleinerung für die Behandlung geltend gemachter Wirbelsäulenbeschwerden nicht nachweisbar ist, besteht auch unter diesem Aspekt keine Leistungspflicht der Krankenkasse.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 06.04.2011 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Übernahme der Kosten einer operativen beidseitigen Brustverkleinerung (Mammareduktionsplastik (MRP)) hat.
Die 1965 geborene Klägerin beantragte am 13.01.2005 erstmals die Übernahme der Kosten einer MRP, weil sich ihre Brüste erheblich vergrößert hätten und sie Beschwerden in Form von Rückenschmerzen, Einschneiden der Büstenhalterträger und Wundschwitzen unterhalb der Brust habe. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit bindend gewordenem Bescheid vom 21.06.2005 ab. Sie stützte ihre Entscheidung auf ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Nordrhein (MDK) vom 23.06.2005, in welchem empfohlen worden war, dass die Klägerin, die ein erhebliches Übergewicht mit einem BMI von 30,5 aufweise (171 cm Körpergröße bei einem Körpergewicht von 88 kg) vor einer etwaigen MRP ein Ziel-Soll-Gewicht von 72 kg erreicht haben sollte.
Am 04.09.2007 legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung der Chefärztin des Brustzentrums der Universitätsklinik L, Dr. T, vom 17.08.2007 vor, in der für die jetzt 90 kg schwere Klägerin eine MRP empfohlen wurde. Der erneute befragte MDK blieb bei seiner Auffassung, dass zunächst eine Gewichtsnormalisierung erforderlich sei. Daraufhin trug die Klägerin vor, sie habe bereits an Gewicht verloren. Die MRP solle nicht aus kosmetischen Gründen erfolgen, sondern weil sie Schmerzen habe und täglich leide, da ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt sei. Zur weiteren Begründung legte sie eine ärztliche Bescheinigung des Internisten E1 vor, wonach neben Rückenschmerzen eindeutig auch psychologische Faktoren die MRP notwendig machten. Der nochmals beauftragte MDK gelangte durch Dr. N in einem weiteren Gutachten vom 01.04.2008 zu dem Ergebnis, dass ohne präoperative Gewichtsnormalisierung aus den bereits im Vorgutachten genannten Gründen die Befürwortung einer Operation nicht möglich sei. Im Übrigen seien die ambulanten Maßnahmen bezüglich einer Schmerzreduzierung durch Physiotherapie in keiner Weise ausgeschöpft. Die Klägerin habe im letzten Jahr keinerlei Maßnahmen ergriffen, die Muskulatur aufzubauen. Eine psychische/psychiatrische Indikation für eine derartige Operation gebe es nicht; hier seien die Maßnahmen der Psychotherapie/Psychiatrie zu ergreifen. Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 17.04.2008 ab. Den Widerspruch der Klägerin, die eine ärztliche Bescheinigung des behandelnden Orthopäden A vom 12.06.2007 vorlegte, wonach aus orthopädischen Gründen die Durchführung einer MRP indiziert sei, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2009 als unbegründet zurück.
Mit ihrer zum Sozialgericht Köln (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt: Bei der Entlastung der Wirbelsäule durch die Verkleinerung der Brust sei von einer Verbesserung des Beschwerdebildes auszugehen. Die Operation würde jedenfalls zu einer Linderung der seit Jahren bestehenden Beschwerden führen. Die empfohlenen krankengymnastisch-therapeutischen Maßnahmen seien bereits verordnet worden, sie führe diese Maßnahmen auch zuhause ständig fort, ohne dass dies zu einer Verbesserung des Beschwerdebildes geführt hätte. Außerdem habe sie inzwischen an Gewicht verloren.
Das SG hat Beweis erhoben und ein ärztliches Sachverständigeng...