Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Verwertbarkeit eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Bewertung geltend gemachter Unfallfolgen. Posttraumatische Belastungsstörung

 

Orientierungssatz

1. Zur Verwertbarkeit eines Gutachtens über die Anerkennung einer Depression bzw. einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls ist u. a. eine Kausalitätsbewertung im Licht der Theorie der wesentlichen Bedingung und eine Auseinandersetzung mit bereits in der Sache erstellter Gutachten erforderlich.

2. Stützt der Sachverständige die im Gutachten erstellte Diagnose maßgeblich auf die subjektive Schilderung und Vorstellung des unfallgeschädigten Versicherten, übernimmt er ungeprüft dessen Angaben und legt er diese seiner Einschätzung zugrunde, so ist das erstellte Gutachten zur Bewertung der geltend gemachten Unfallfolgen nicht verwertbar.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.03.2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten eine höhere Verletztenrente nach einem Arbeitsunfall vom 08.04.2011.

Der am 00.00.1980 geborene Kläger arbeitete seit dem 01.04.2011 bei der Fa. B als ungelernter Maurer/Putzer. Er war auf Montage tätig und am 08.04.2011 auf dem Weg von einer Baustelle zur Unterkunft als Beifahrer mit dem PKW verunfallt. Der Fahrer des Wagens, ein Cousin des Klägers, kam bei hoher Geschwindigkeit von der Fahrbahn ab und durchbrach die rechte Leitplanke einer Autobahn. Der Wagen fuhr eine Böschung hinab und kam nach ca. 30 m auf einem Feld zum Stehen. Der Cousin erlitt schwere Gehirnverletzungen und starb noch am Unfallort. Der Kläger wurde mit einem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus in O transportiert, wo er in einer "Traumaspirale" untersucht und in den ersten Tagen intensivmedizinisch überwacht wurde. Der Durchgangsarzt Dr. X hielt in seinem Bericht vom 12.04.2011 folgende Erstdiagnosen fest: "Schädelhirntrauma 1. Grades, multiple Prellungen und Schürfwunden am Rumpf und linker oberer Extremität, Kopfplatzwunde occipital rechts."

Der Kläger wurde am 11.04.2011 in die N Klinik in M verlegt. Im Durchgangsarztbericht des Prof. Dr. H vom 15.04.2011 war als weitere Diagnose eine starke Zerrung der Halswirbelsäule (HWS) aufgeführt. Im Entlassungsbericht vom 27.04.2011 berichteten die Ärzte der N Klinik, dass der Kläger am Tage der Verlegung plötzlich eine Psychose entwickelt und begleitend einen Suizidversuch unternommen habe, welcher rechtzeitig habe verhindert werden können. Zudem sei beim Kläger sei eine discoligamentäre Instabilität bei Halswirbelkörper (HWK) 6/7 festgestellt worden, weshalb er am 20.04.2011 an der HWS operiert worden und eine intracorporale Spondylodese mit Plattenosteosynthese durchgeführt worden sei.

Der Kläger war in der Folgezeit stationär in der Klinik B, mehrmals in den LWL-Kliniken I, in den N Kliniken, im Universitätsklinikum C C sowie ambulant bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychotherapeut Dr. P in Behandlung. Die Klinik B berichtete von eine Anpassungsstörung mit posttraumatischen Elementen (klinisch-psychologischer Abschlussbericht vom 29.06.2011), der Arzt für Neurologie und Nervenheilkunde Prof. Dr. U vom Universitätsklinikum C C ordnete im Bericht vom 07.02.2012 das gebotene psychische Störungsbild am ehesten im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung in Remission ein, in einem Bericht vom 29.08.2012 schätzten die Ärzte der LWL-Klinik in I das Leiden des Klägers als posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ein. Anamnestisch habe der Kläger bereits sechs Jahre zuvor einen ersten Suizidversuch im Rahmen eines Ehestreits unternommen.

Die Beklagte zog Berichte der behandelnden Ärzte und Kliniken bei sowie ein Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse des Klägers (AOK). Dem Vorerkrankungsverzeichnis ist als Eintrag unter dem 18.11.2005 zu entnehmen: "Vergiftung: sonstige nicht näher bezeichnete Arzneimittel, Drogen und biologische Substanzen; emotional instabile Persönlichkeitsstörung: impulsiver Typ; Anpassungsstörung."

Der Kläger erhielt bis zum 04.01.2013 Verletztengeld von der Beklagten. Diese ließ den Kläger am 21.01.2013 durch Prof. Dr. U (unter Mitarbeit von Dr. V) neurologisch-psychiatrisch begutachten. Prof. Dr. U hielt in seinem Gutachten vom 18.03.2013 nebst ergänzender Stellungnahme vom 01.07.2013 fest, der Kläger habe den Unfallhergang sachlich ohne erkennbare affektive Beteiligung oder Zeichen eines erhöhten affektiven Arrousals schildern können. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung eine (chronifizierte) PTBS mit Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Auch wenn man in dem Ereignis selbst ein Kriterium für eine posttraumatische Belastung als gegeben annehmen könne, so fehlten doch die weiteren Kriterien wie das Wiedererleben des traumatischen Ereignisses. Typisch für eine PTBS sei, dass Se...

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