Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflegeversicherung. Jugendlicher. Mukoviszidose. Nichtberücksichtigung einzelner Verrichtungen als Grundpflege
Orientierungssatz
1. Die Zusammenstellung von Mahlzeiten in jeweils richtiger Menge und Dosierung hinsichtlich der Enzyme zählt nicht zu dem mundgerechten Zubereiten der Nahrung.
2. Die Aufsicht bei Einnahme von Medikamenten findet im Bereich der Hilfe bei Verrichtungen der Grundpflege keine Berücksichtigung, weil sich dieser Vorgang nicht auf eine Katalogtätigkeit der Grundpflege bezieht. Die Desinfizierung der Toilette sowie des Waschbeckens kann gleichfalls keinem der Grundpflegebereiche zugeordnet werden.
3. Auch die Hilfe beim Atmen, Inhalieren und der autogenen Drainage kann nicht im Bereich der Grundpflege berücksichtigt werden.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten die Zahlung eines Pflegegeldes wegen erheblicher Pflegebedürftigkeit (Pflegestufe I) verlangen kann.
Die 1980 geborene Klägerin leidet unter Mukoviszidose mit pulmonaler und abdomineller Beteiligung, einem Zustand nach allergisch bronchopulmonaler Aspergillose und einer prä-diabetischen Stoffwechsellage. Sie ist anerkannte Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 90 % und den Vergünstigungsmerkmalen "H", "G" und "B". Sie besucht das Gymnasium und lebt mit ihren Eltern im gemeinsamen Haushalt.
Im Januar 1995 beantragte die Klägerin die Gewährung eines Pflegegeldes nach der Pflegestufe I. Die Beklagte veranlaßte daraufhin eine Begutachtung durch den MDK, der im Gutachten vom 30.05.1995 u.a. ausführte: Im grundpflegerischen Bereich falle keinerlei Hilfebedarf an, während bei der hauswirtschaftlichen Versorgung umfassender Hilfebedarf bestehe. Die von der Mutter der Klägerin angeführten therapieunterstützenden Maßnahmen seien zeitlich als Pflegeaufwand nur anrechenbar, wenn in Bezug auf Körperpflege, Ernährung und Mobilität ein Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten täglich bestehe. Die Unabhängigkeit der 14 1/2-jährigen Klägerin sei in Bezug auf die Grundpflegebereiche altersentsprechend ohne Fremdhilfe nachgewiesen. Dies werde sowohl von der Klägerin wie auch insbesondere von der Mutter bestätigt. Die therapieunterstützenden Maßnahmen könnten daher nicht im Grundpflegebereich anerkannt werden.
Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 01.06.1995 den Antrag der Klägerin ab. Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch trug die Klägerin vor: Die pflegeunterstützenden Maßnahmen seien bei Mukoviszidose-Kindern Maßnahmen der Grundpflege und gehörten insoweit zu den Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens. Bei Mukoviszidose-Kindern seien generell die Voraussetzungen der Pflegestufe I anzunehmen, in den weitaus meisten Fällen sogar die Voraussetzungen der Pflegestufe II. -- Der Widerspruchsausschuß der Beklagten wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.1995 u.a. mit folgender Begründung zurück: Der Hinweis auf die Pflegebedürftigkeits-Richtlinien rechtfertige keine andere Entscheidung. Die dort genannten pflegeunterstützenden Maßnahmen stellten für sich allein gesehen keine Verrichtungen des täglichen Lebens dar und könnten deshalb nur dann berücksichtigt werden, wenn sie zusätzlich zu dem in der jeweiligen Pflegestufe erforderlichen Hilfebedarf bei den gesetzlich vorgeschriebenen Verrichtungen des täglichen Lebens notwendig seien. Das sei hier jedoch nicht der Fall.
Die Klägerin hat am 28.12.1995 Klage beim Sozialgericht Aachen erhoben und vorgetragen: Der Pflegeaufwand betrage bei ihr täglich mindestens 1 1/2 bis 2 Stunden, wobei der größte Teil die pflegeunterstützenden Maßnahmen bzw. die Grundpflege betreffen. Die Darmentleerung und Stuhlgänge seien zu kontrollieren. Sei der Stuhlgang zu fettig oder handele es sich sogar um Durchfall, müßten die Enzyme erhöht werden; handele es sich um zu harte Stühle oder Verstopfung, werde die Dosis entsprechend reduziert. Besondere Pflege durch Eincremen mit Wund- und Heilsalbe sei regelmäßig nötig, um Entzündungen des Anus zu vermeiden. Der Zeitaufwand hierfür umfasse täglich ca. 15 Minuten. Er betrage für die stets erforderlichen Aufforderungen zur Nahrungsaufnahme täglich ca. 10 Minuten. Die Nahrungsaufnahme sowie die Einnahme von Verdauungsenzymen, Vitaminpräparaten und Antibiotika bzw. Kortison während der Mahlzeiten werde regelmäßig überwacht. Hierfür seien täglich ca. 20 Minuten notwendig. Nach dem Wecken müsse sie sofort ein frisch angerührtes schleimlösendes Medikament einnehmen. Ihre Mutter helfe ihr sodann beim Abhusten und reiche ihr hierzu Tücher an. Die Aufstehprozedur dauere ca. 25 Minuten täglich. Zweimal am Tag benötige sie Hilfe beim Inhalieren, und zwar morgens vor dem Frühstück und abends. Die Mutter überwache die Inhalation. Auch hier sei Hilfe beim Abhusten des zähen Schleims erforderlich (Zeitaufwand: täglich 20 Minuten). Mindestens einmal am Tag sei Hilfe bei der autogenen Drainage notwendig. Durch eine besondere Atemtechnik werde der Schleim gelöst und transportiert. Das A...