Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei versäumter Klagefrist

 

Orientierungssatz

1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn ein Verfahrensbeteiligter ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Die Versäumung der Verfahrensfrist darf auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht vermeidbar gewesen sein. Auch juristisch nicht geschulte Personen haben insoweit eine Sorgfaltspflicht. Sie müssen die Rechtsmittelbelehrung beachten und sich notfalls erkundigen. Mangelnde Rechtskenntnis entschuldigt eine Fristversäumnis regelmäßig nicht, gleichgültig ob der Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist oder nicht.

2. Ist der Kläger ordnungsgemäß über die Einhaltung der Klagefrist im Widerspruchsbescheid belehrt worden, so verfügt er über die zur fristgemäßen Klageerhebung erforderlichen Kenntnisse.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid vom 22.03.2011 wird zurückgewiesen.

Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) mit Wirkung ab dem 01.04.2010.

Seit dem 01.05.2008 bezog der am 00.00.1972 geborene Kläger durchgehend von der Rechtsvorgängerin des Beklagten (nachfolgend einheitlich: Beklagter) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Durch Bescheid vom 19.02.2010 gewährte der Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.03. bis 31.05.2010.

Am 05.03.2010 ging beim Beklagten die vom Kläger am 03.03.2010 unterschriebene Anlage VM "Feststellung der Vermögensverhältnisse der Antragstellerin/Antragstellers und der in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Person" zum Fortzahlungsantrag ein. In dieser Anlage gab der Kläger an, dass er über Bargeld in Höhe von 48.000,00 EUR und ein Guthaben auf dem Girokonto von 2.500,00 EUR verfüge. Durch Bescheid vom 09.03.2010 (nach dem Inhalt der Verwaltungsakte, aber vom 11.03.2010 nach dem vom Kläger im Verfahren vor dem Sozialgericht S 40 AS 2462/10 vorgelegten Bescheid - im Folgenden: Bescheid vom 09.03.2010) hob der Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld II mit Wirkung ab dem 01.04.2010 unter Berufung auf § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf. Das zu berücksichtigende Vermögen von insgesamt 48.000,00 EUR übersteige die Grundfreibeträge von 6.300,00 EUR.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 24.03.2010 Widerspruch ein, den der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 12.07.2010 zurückwies. Dem Widerspruchsbescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, wonach gegen die Entscheidung innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe beim Sozialgericht, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf Klage erhoben werden kann.

Am 24.06.2010 erhob der Kläger eine Untätigkeitsklage, S 40 AS 2462/10. Nach Anhörung der Beteiligten wies das Sozialgericht Düsseldorf die Untätigkeitsklage durch Gerichtsbescheid vom 22.03.2011 ab. Die begehrte Untätigkeitsklage sei insoweit erledigt, als der Beklagte den Widerspruchsbescheid erlassen habe. Damit sei nicht mehr erkennbar, inwieweit der Kläger noch in seinen Rechten verletzt sein könnte. Gegen den ihm am 28.10.2011 ausgehändigten Gerichtsbescheid legte der Kläger Berufung, L 19 AS 1915/11, mit dem Begehren ein, den Bescheid vom 09.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2011 aufzuheben.

Am 03.09.2010 hat der Kläger beim Sozialgericht vorgesprochen und folgendes erklärt:

"Mit gerichtlicher Verfügung vom 13.07.2010 wurde mir der Widerspruchsbescheid vom 12.07.2010 übersandt, mit der Anfrage, ob ich die Klage zurücknehme. Mit dem beigefügten Formular habe ich geantwortet, dass ich die Klage nicht zurücknehme. Ich bin davon ausgegangen, dass nunmehr der Widerspruchsbescheid gerichtlich überprüft werde. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass ich erneut klagen muss, sondern dass der Widerspruchsbescheid nunmehr Gegenstand der Untätigkeitsklage wird und das Klageverfahren weitergeführt wird. Falls dies nicht der Fall ist, lege ich vorsorglich Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 12.07.2010 ein und beantrage die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand."

Das Sozialgericht hat diese Vorsprache als Klage gegen den Bescheid vom 09.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2010 aufgefasst und unter dem Aktenzeichen S 40 AS 3692/11 geführt.

Der Kläger hat vorgetragen, dass es sich bei dem Bargeldbetrag i.H.v. 48.000,00 EUR um die Zahlung eines Pflichtteilsanspruchs handele, den er sich gerichtlich erstritten habe. Dieser Betrag diene zur Altersvorsorge. Er sei nicht der Ansicht, dass er das Geld für seinen Lebensunterhalt verwenden müsse.

Der Beklagte hat vorgetragen, dass der Kläger die Klagefrist versäumt habe. Ihm sei keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Soweit der Kläger der A...

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