Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. vorgerichtliche Verfahren mit privaten Pflegeversicherungsunternehmen. Vorverfahrenskosten. Erstattungsfähigkeit. planwidrige Regelungslücke. Erfolg des Widerspruchs. Beurteilung nach dem tatsächlichen Ergebnis des Vorverfahrens. Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts
Orientierungssatz
1. Zur Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltskosten in vorgerichtlichen Verfahren mit privaten Pflegeversicherungsunternehmen analog § 63 SGB 10 aufgrund des Vorliegens einer planwidrigen Regelungslücke.
2. Nach § 63 Abs 1 SGB 10 sind die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich war. Dies gilt auch dann, wenn die Voraussetzungen für den Anspruch (hier durch eine Verschlechterung des Gesundheitszustands der Versicherten) erst kurz vor bzw während des laufenden Widerspruchs eintreten, weil der Erfolg des Widerspruchs am tatsächlichen Ergebnis des Widerspruchsverfahrens zu messen ist (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 18.9.2013 - L 18 AS 565/12).
3. Die Grundsätze zur Beurteilung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts (§ 63 Abs 2 SGB 10) sind auf die private Pflegeversicherung zu übertragen, da diese nach § 23 Abs 1 S 2 SGB 11 ihren Versicherten Leistungen gewährt, die nach Art und Umfang den Leistungen des Vierten Buches des SGB 11 gleichwertig sind.
4. Darüber hinaus unterliegt der private Pflegeversicherungsträger auch nicht der Amtsermittlungspflicht, die ihn verpflichtet, auch für die Beteiligten günstigen Umstände zu ermitteln und zu berücksichtigen. Auf Grund des Wissensvorsprungs und der Expertise des privaten Pflegeversicherers ist bei Einlegung eines Einspruchs, der ein kontradiktorisches Verfahren zwischen Versichertem und Versicherungsunternehmen einleitet, unter den Gesichtspunkten des fairen Verfahrens und einer gewissen Waffengleichheit die Hinzuziehung eines sachkundigen Bevollmächtigten ebenfalls grundsätzlich gerechtfertigt.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 12.11.2019 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 380,80 EUR zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klageverfahren. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Die 1934 geborene und während des Klageverfahrens am 31.8.2017 verstorbene N. I. (fortan: Versicherte) war über ihren vorverstorbenen Ehemann bei der Beklagten privat pflegeversichert. Dem Vertrag lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der privaten Pflegepflichtversicherung (MB/PPV 1995) zu Grunde. Die Versicherte wurde von ihrer 1963 geborenen Tochter und Rechtsnachfolgerin, der jetzigen Klägerin, gepflegt und auf Grund vertraglicher Vereinbarung vom 27.1.2015 betreut.
Die Versicherte beantragte am 23.9.2015 Leistungen der häuslichen Pflege. Nachdem der Medizinische Dienst der Privaten Pflegeversicherung (N 1.) in seinem Gutachten vom 5.10.2015 zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Versicherte in der Grundpflege einen Hilfebedarf von 2 und in der hauswirtschaftlichen Versorgung von 30 Minuten habe, lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen der privaten Pflegeversicherung mit Schreiben vom 13.10.2015 ab. Das Schreiben enthielt den Hinweis:
"Gegen diese Feststellung können Sie innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich Einwendungen geltend machen. Bei Einwendungen gegen die Einstufung fügen Sie Ihrem Schreiben an uns bitte die den Einwand begründenden ärztlichen oder sonstigen Unterlagen bei. Wenn keine Einwendungen geltend gemacht werden, gilt nach Ablauf der Monatsfrist dieses Schreiben als endgültige Ablehnung Ihres Antrags. Wenn Sie Ihre Ansprüche weiter verfolgen wollen, müssen Sie diese gerichtlich geltend machen. Andernfalls erlöschen möglicherweise bestehende Leistungsansprüche."
Die Versicherte legte mit Schreiben vom 16.11.2015 anwaltlich vertreten Widerspruch ein und begründete diesen unter Vorlage von ärztlichen Unterlagen u.a. über einen vom 9. - 27.11.2015 erfolgten stationären Aufenthalt mit einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustands. Nach einem daraufhin veranlassten weiteren Gutachten des N 1. vom 4.1.2016 bestätigte die Beklagte mit Schreiben vom 13.1.2016 ab dem 1.11.2015 einen Anspruch auf Leistungen nach Pflegestufe 2 mit erheblicher Einschränkung der Alltagskompetenz.
Die Versicherte erklärte das Widerspruchsverfahren mit Schreiben vom 1.3.2016 für erledigt und beantragte die Erstattung der ihr entstandenen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 380,80 EUR. Weder sie noch ihre Tochter seien in der Lage gewesen, den Widerspruch ohne rechtlichen Beistand einzulegen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Schreiben vom 9.3.2016 mit der Begründung ab, die Vorschriften des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) seien auf sie als privaten und dem Zivilrecht unterliegenden Versicherungsträger auch dann nicht anwendbar, wenn für Streitigkeiten zwisch...