Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Bemessungsentgelt. echter Grenzgänger. Nichtberücksichtigung des in Belgien erzielten Arbeitsentgelts. Berücksichtigung des Arbeitsentgeltes der letzten Beschäftigung im Inland. keine fiktive Bemessung
Orientierungssatz
Für die Berechnung des Arbeitslosengeldes eines vormaligen Grenzgängers hat die speziellere Regelung des Art 62 Abs 1 EGV 883/2004 zur Folge, dass nur inländische Versicherungszeiten, die in den Bemessungsrahmen nach § 130 Abs 1 SGB 3 fallen, berücksichtigt werden und eine fiktive Bemessung nach § 132 Abs 1 SGB 3 auch dann nicht vorzunehmen ist, wenn der Arbeitslose in den letzten zwei Jahren vor der Entstehung des Arbeitslosengeldanspruches keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt aus einer Inländerbeschäftigung in Deutschland vorzuweisen hat.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14.05.2012 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 11.09.2010 bis 04.11.2010 hat.
Der Kläger war im Zeitraum vom 02.06.2008 bis 30.06.2010 in Deutschland bei der Firma F. U. NV in H./Belgien als Kraftfahrer versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Am 01.07.2010 nahm er eine Tätigkeit als Kraftfahrer bei der Firma F1. E. GmbH & Co.KG in C. auf. Das Arbeitsverhältnis endete am 31.08.2010 auf Grund ordentlicher Kündigung des Arbeitgebers. Das vom deutschen Arbeitgeber für die Monate Juli und August 2010 abgerechnete Bruttoarbeitsentgelt belief sich auf insgesamt 5001,92 Euro. Vom 01.09.2010 bis einschließlich 10.09.2010 bezog der Kläger Krankengeld. Am 13.09.2010 meldete er sich rückwirkend zum 11.09.2010 (Samstag) bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger durch Bescheid vom 11.10.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 12.10.2010 Alg für den Zeitraum vom 11.09.2010 bis 10.09.2011 Alg in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 30,49 Euro. Sie berücksichtigte bei der Anwartschaftszeit auch die Beschäftigung in Belgien. Da auf Grund der nur kurzzeitigen Inlandsbeschäftigung des Klägers von 61 Tagen auch im gemäß § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (in der bis 31.03.2012 geltenden Fassung (SGB III a.F.) ; jetzt § 150 SGB III ) auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht festzustellen sei, wobei sie nur die Inlandsbeschäftigung berücksichtigte, legte sie gemäß § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde. Dabei ordnete sie den Kläger zuletzt der in § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB III a.F. geregelten Qualifikationsgruppe 3 zu (Bemessungsentgelt von 68,13 Euro).
Der Kläger widersprach: Es sei nicht nachvollziehbar, wie sich bei einem in der Vergangenheit erzielten Nettoeinkommen von durchschnittlich 2.600,- Euro ein monatlicher Alg-Anspruch von lediglich 914,70 Euro errechnen könne. Auch auf das in Belgien erzielte Arbeitsentgelt seien Sozialabgaben entrichtet worden.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Bescheid vom 15.11.2010 zurück: Die fiktive Bemessung des Alg unter Zugrundelegung der Qualifikationsgruppe 3 sei rechtmäßig. Der Kläger habe den Anspruch auf Alg gemäß Art. 62 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) 883/2004) durch deutsche Versicherungs- und europäische Auslandszeiten erworben. Da er vor dem Eintritt der Arbeitslosigkeit nach deutschem Recht bei der Firma F1. E. GmbH & Co.KG beschäftigt gewesen sei, habe die Bemessung des Alg gemäß Art. 62 Abs. 1 und 2 VO (EG) 883/2004 ausschließlich anhand des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts aus dem deutschen Beschäftigungsverhältnis zu erfolgen. Der einjährige Bemessungsrahmen umfasse die Zeit vom 01.09.2009 bis 31.08.2010. Er sei gemäß § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F. auf zwei Jahre zu erweitern, weil der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt (nach deutschem Recht) enthalte. Ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf beitragspflichtiges (in Deutschland erzieltes) Arbeitsentgelt sei jedoch auch innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festzustellen, so dass gemäß § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen sei. Der Kläger sei gemäß § 132 Abs. 2 Satz 1 SGB III a.F entsprechend seiner beruflichen Qualifikation der Qualifikationsgruppe 3 zugeordnet worden, so dass ein fiktives Arbeitsentgelt in Höhe von einem Vierhundertfünfzigstel der Bezugsgröße nach § 18 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) als tägliches Bemessungsentgelt zu Grunde gelegt wo...