Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung von Sozial- und Jugendhilfe. Leistungen für alleinerziehende geistig behinderte junge Mutter. gemeinsame Wohnform. Vorrangigkeit der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe nach § 10 Abs 4 S 2 SGB 8. Zuständigkeitsklärung nach § 14 SGB 9. verbindliche Leistungsverpflichtung bei unterbliebener Weiterleitung
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Divergenz zwischen BSG vom 24.3.2009 - B 8 SO 29/07 R = BSGE 103, 39 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1 und BVerwG vom 22.10.2009 - 5 C 19/08 = BVerwGE 135, 159 bei der Frage nach dem Konkurrenzverhältnis zwischen sozialhilferechtlicher Eingliederungshilfe und Jugendhilfe bei Leistungen für eine alleinerziehende geistig behinderte junge Mutter in einer gemeinsamen Wohnform für Mutter und Kind.
2. § 14 SGB 9 schafft eine nach außen verbindliche neue Zuständigkeit im Falle unterbliebener rechtzeitiger Weiterleitung (BSG vom 26.10.2004 - B 7 AL 16/04 R = BSGE 93, 283 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1). Die Vorschrift soll Rechtssicherheit hinsichtlich der Leistungszuständigkeit durch Endgültigkeit einer nach § 14 SGB 9 begründeten Zuständigkeit schaffen (BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R = FA 2010, 192). Für den betroffenen behinderten Menschen ist der nach § 14 SGB 9 verpflichtete Träger der einzig zuständige. Der Betroffene kann nicht noch den nach dem jeweils betroffenen Leistungsgesetz eigentlich zuständigen Leistungsträger (als "weiteren Schuldner") in Anspruch nehmen (so aber wohl BSG vom 14.12.2006 - B 4 R 19/06 R = SozR 4-3250 § 14 Nr 3).
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, wer die Kosten für die Unterbringung der Klägerin in der Mutter-Kind-Einrichtung H in C tragen muss.
Die am 00.00.1985 geborene Klägerin leidet nach einem Gutachten vom 07.07.2004 der Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. N, F, das diese für das Amtsgericht H im Rahmen eines Betreuungsverfahrens erstellt hat, an einer leichten geistigen Behinderung, welche eine ausreichende schulische Bildung i.S.v. Rechnen, Schreiben, Lesen lernen schon nicht mehr ermöglicht habe. Die Persönlichkeit der im Zeitpunkt der Begutachtung schwangeren Klägerin sei unausgereift, unstet, strukturschwach und abhängig. Infolge der geistigen Behinderung und der Persönlichkeitsunreife bedürfe sie der Hilfestellung durch einen Betreuer in diversen (im Gutachten näher bezeichneten) Lebensbereichen. Die Behinderung werde zeitlebens bestehen bleiben; bei ausreichender Kooperation könnte die Klägerin in einer Mutter-Kind-Wohngemeinschaft mit soziotherapeutischer Anleitung etwas nachreifen und alltagspraktische Kompetenzen entwickeln. Eine einfache Verständigung sei möglich, Geschäftsfähigkeit bestehe nur für Taschengeldgeschäfte.
Nach einem individuellen Hilfeplan des Beklagten vom 09.08.2004 kann die Klägerin u.a. einen Einkauf nicht planen und den Bedarf nicht überblicken. Sie kann nicht selbständig ausgewogene Mahlzeiten kochen, benötigt Aufforderung zur Ordnung im eigenen Bereich, muss Geld eingeteilt bekommen und kann komplexe Zusammenhänge nicht nachvollziehen. Sie hat Schwierigkeiten, ihre Freizeit zu gestalten, kann neue Strecken und Wege nicht selbständig erschließen, hat wenig Bezug zu realistischen Zielen und nur sehr unkonkrete Vorstellungen zu Zukunftsperspektiven und Lebensplanung, hat Schwierigkeiten, sich längere Abfolgen zu merken und zeitliche Zuordnungen zu treffen, benötigt mehrfache Wiederholungen, hat Schwierigkeiten, Monat oder Wochentag zu bestimmen, braucht Begleitung bei Ersterkundungen von neuen Orten, fühlt sich nicht behindert und hat oft keinen Realitätsbezug, da sie die eigenen Grenzen bzw. die Behinderung nicht erkennt, hat oft wenig Antrieb bei großer Bequemlichkeit, kann nicht lesen, rechnen und schreiben, ist bei der Ausführung ärztlicher oder therapeutischer Verordnungen nicht zuverlässig und hält sich nicht an eine gesunde Lebensweise.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten des Dr. N sowie den Hilfeplan der Beklagten Bezug genommen.
Bis zum Schuljahr 2001/2002 besuchte die Klägerin die N-Schule für Lernbehinderte in H. Vom 04.11. bis 01.12.2002 nahm sie (bei Testung eines IQ von 56) zunächst an einem Eingangsverfahren der Werkstatt für behinderte Menschen (WFBM) I-P teil und blieb dort ab dem 02.12.2002 bis Juli 2003 im Berufsbildungsbereich. Anschließend lebte sie nach ihren Angaben gegenüber der Gutachterin Dr. N eine Zeit lang bei ihrem Freund in I, nach einem Streit mit dem Freund zunächst kurz bei einem Onkel eines Exfreundes und sodann wieder bei ihrer Mutter in H.
Am 22.07.2004 beantragte die zwischenzeitlich bestellte Betreuerin der Klägerin beim Beigeladenen zu 1 die Gewährung von Hilfe nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz. Die Klägerin werde voraussichtlich am 28.08.2004 entbinden, lebe derzeit bei ihrer Mutter in beengten Verhältnissen und könne dort mit dem Kind nicht bleiben. Sie werde nicht in der Lage sein, sich allein um die Belange des Kindes zu kümmern.
Der Beigeladene zu 1 teilte der Klägerin mit (Schreiben vom 28.07.2004), nach Auswertung des Guta...