Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. Antrag auf Höherstufung. Kenntnisgrundsatz. Bindung des Sozialhilfeträgers an die Einstufung der Pflegekasse hinsichtlich des Grades der Pflegebedürftigkeit
Orientierungssatz
1. Dem Pflegeheim obliegt es, einem gesteigerten Pflegebedarf dadurch Rechnung zu tragen, dass es möglichst frühzeitig den Antrag auf Höherstufung bei der Pflegekasse stellt. Nur auf diesem Weg ist sichergestellt, dass dem Kenntnisgrundsatz des § 18 SGB 12 Rechnung getragen wird und so letztlich auch die Einstandspflicht des Trägers der Sozialhilfe eintritt.
2. Der Kenntnisgrundsatz des § 18 SGB 12 schließt eine rückwirkende Sozialhilfebewilligung aus.
3. Die Vorschrift des § 62 SGB 12 legt eine Bindung des Trägers der Sozialhilfe an die Entscheidung der Pflegekasse über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit fest. Diese Bindungswirkung bezieht sich jedoch nur auf das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit und lässt den Leistungszeitraum, dh die normierte Einstandspflicht des Trägers der Sozialhilfe, unberührt.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 18.05.2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine rückwirkende Gewährung höherer Leistungen der Sozialhilfe in der Gestalt der Hilfe zur Pflege gemäß §§ 61 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) anlässlich einer Pflegestufenerhöhung der Klägerin.
Die 1921 geborene Klägerin besitzt einen Grad der Behinderung von 100 (Bescheid des Versorgungsamtes N vom 10.11.2003) und bedarf der Hilfe in erheblichem Maße wegen körperlicher Erkrankungen für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer.
Seit dem 13.10.2004 lebt die Klägerin im D-Stift in N und bezieht von der Beklagten als sachlich und örtlich zuständigem Träger der Sozialhilfe, Leistungen nach den §§ 61 ff. SGB XII, da sie die anfallenden Heimkosten nicht aus eigenen Mitteln, insbesondere nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen, aufbringen kann. Die zuständige Pflegekasse, die AOK Westfalen-Lippe, hatte die Klägerin bis 01.03.2008 in die Pflegestufe I im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) eingestuft. Von Mitte 2007 bis Anfang 2008 korrespondierten die Beteiligten bezüglich des Leistungsfalles der Klägerin. Es wurden Fragen hinsichtlich der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Sozialhilfe geprüft. Die gesundheitliche Konstitution der Klägerin war nicht Gegenstand der Schreiben oder Bescheide.
Mit Schreiben vom 10.03.2008, bei der Beklagten per Fax am selben Tag eingegangen, teilte das D-Stift der Beklagten mit, dass für die Klägerin heute ein Antrag auf Höherstufung und gleichzeitig vorsorglich ein Antrag auf Übernahme der Restkosten gestellt würde. Erst mit Schreiben vom 12.03.2008 stellte die Klägerin bei der AOK Westfalen-Lippe den bereits gegenüber der Beklagten angekündigten Höherstufungsantrag von Pflegestufe I zu Pflegestufe II.
Mit Bescheid vom 21.05.2008 bewilligte die AOK Westfalen-Lippe der Klägerin Leistungen der Pflegeversicherung unter Berücksichtung der Pflegestufe II im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XI rückwirkend ab 01.03.2008. Dadurch erhöhte sich der vom Heim gegenüber der Klägerin geltend gemachte Tagessatz für die stationäre Pflege der Klägerin von bisher 43,11 EUR auf nunmehr 59,36 EUR. Mit Bescheid vom 14.07.2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin höhere Leistungen der Sozialhilfe in Gestalt der Hilfe zur Pflege gemäß §§ 61 ff. SGB XII unter Berücksichtigung der Pflegestufe II im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XI beginnend ab 10.03.2008. Einer höheren Sozialhilfegewährung für die Zeit vom 01.03.2008 bis 09.03.2008 stünde der Kenntnisgrundsatz des § 18 Abs. 1 SGB XII entgegen. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, gemäß § 62 SGB XII sei die Beklagte auch in zeitlicher Hinsicht an die Entscheidung der Pflegekasse gebunden und müsse der Klägerin Leistungen der Sozialhilfe in Gestalt der Hilfe zur Pflege unter Berücksichtigung der Pflegestufe II im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XI bereits ab 01.03.2008 gewähren. Ferner sei die Beklagte auch gemäß § 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) verpflichtet, sich regelmäßig über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit der Klägerin zu informieren.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.09.2008 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Einer erhöhten Leistungserbringung für die Zeit vor dem 10.03.2008 stehe der Kenntnisgrundsatz des § 18 SGB XII entgegen. § 62 SGB XII führe vorliegend zu keinem anderen Ergebnis. Dieser beziehe sich ausschließlich auf die Entscheidung zum Ausmaß der Pflegebedürftigkeit, jedoch nicht auf den Leistungszeitrau...