Entscheidungsstichwort (Thema)

Regress wegen unzulässig verordneten Sprechstundenbedarfs

 

Orientierungssatz

1. Hat ein Vertragsarzt entweder unwirtschaftlich oder unzulässigerweise Sprechstundenbedarf verordnet, so ist die Kassenärztliche Vereinigung nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, einen Regress gegen den verordnenden Vertragsarzt festzusetzen.

2. Grundsätzlich haben Medikamentenverordnungen patientenbezogen zu erfolgen. Nur dann ist eine Verordnung über den Sprechstundenbedarf zulässig, wenn die Einhaltung des regulären Beschaffungsweges durch Einzelverordnung aus medizinischen Gründen nicht möglich ist.

3. Ein Schwangerschaftsabbruch ist kein Notfall. Die Notwendigkeit einer Behandlung mit Anti-D- Immunglobulin ergibt sich nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Eingriff, sondern erst bis zu drei Tage nach dem operativen Eingriff. Damit ist eine Verordnung über den Sprechstundenbedarf ausgeschlossen.

4. Unzulässig verordneter Sprechstundenbedarf kann in Umgehung dieser Regelung nicht über eine Wirtschaftlichkeitsprüfung regressiert werden.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.11.2007 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob und inwieweit der Beklagte verpflichtet ist, gegen den Beigeladenen zu 8) wegen Verordnung von Sprechstundenbedarf (SBB) in den Quartalen 1/2003 bis 2/2004 Regresse festzusetzen.

Der Beigeladene zu 8) ist Arzt für Gynäkologie und Geburtshilfe; er ist zur vertragsärztlichen Versorgung in C zugelassen.

Die Klägerin stellte auf die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnung von SSB durch den Beigeladenen zu 8) gerichtete Prüfanträge, und zwar für das Quartal 1/2003 am 28.06.2004, für das Quartal 2/2003 am 28.09.2004, für das Quartal 3/2003 am 16.12.2004, für das Quartal 4/2003 am 18.03.2005, für das Quartal 1/2004 am 30.06.2005 und für das Quartal 2/2004 am 29.09.2005, jeweils unter Hinweis darauf, dass die im Einzelnen aufgezeigten Überschreitungen im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses lägen und Unwirtschaftlichkeit der Verordnungsweise vermuten ließen. Den Anträgen lagen die Verordnungen des Beigeladenen zu 8) bei. Für die Quartale 1/2003 bis 4/2003 ist zudem auf den Anträgen vermerkt, dass auch ein Antrag nach § 15 Abs. 1 Satz 4 der Prüfvereinbarung Nordrhein wegen unzulässigen SSB gestellt worden und die beantragte Regresssumme berücksichtigt sei.

Der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein setzte mit Bescheid vom 04.10.2005 (Sitzung vom 30.08.2005) für die Quartale 1/2003 bis 1/2004 einen Regress in Höhe von (i.H.v.) insgesamt 6.814,11 Euro und mit Bescheid vom 13.02.2006 (Sitzung vom 10.01.2006) für das Quartal 2/2004 einen Regress i.H.v. 1.640,59 Euro fest.

Mit seinen Widersprüchen machte der Beigeladene zu 8) geltend, die beanstandeten Mehrkosten seien durch die Verordnung von Anti-D-Immunglobulin zur Rhesusprophylaxe entstanden. Dieses dürfe nach der SSB-Vereinbarung als Arzneimittel für Notfälle und für die sofortige Anwendung oder für die Anwendung im unmittelbaren, ursächlichen Zusammenhang mit einem ärztlichen Eingriff als SSB verordnet werden. Da aufgrund seiner Praxisbesonderheit "ambulantes Operieren mit Schwerpunkt auf Schwangerschaftsabbrüchen" häufige Verordnungen und die sofortige Anwendung von Anti-D-Immunglobulin notwendig seien, beziehe er dieses in größeren Mengen über SSB. Anti-D-Immunglobulin werde sofort, in direktem ursächlichen Zusammenhang mit einem ärztlichen Eingriff angewandt; eine längere Therapie werde damit nicht durchgeführt. Bei der auf Überweisung durch niedergelassene Kollegen erfolgenden Erstvorstellung der ca. 600 schwangeren Patientinnen pro Jahr sei in den meisten Fällen die Blutgruppen noch nicht bestimmt worden. Das werde von ihm durchgeführt. Das Ergebnis liege beim wenige Tage später erfolgendem Zweitkontakt, dem Operationstag, vor. Es sei unzumutbar, die Patientin unmittelbar vor der Operation mit einer Einzelverordnung auf eine der umliegenden Apotheken zu verweisen.

Mit Bescheiden vom 20.06.2006 (Sitzungen vom 01.03. und 03.05.2006) hob der Beklage die Regresse für die Quartale 1/2003 und 2/2003 auf und reduzierte die Regresse für die Quartale 3/2003 bis 2/2004 auf 1.507,99 Euro. Zur Begründung gab er an, nach Abschnitt IV.7 der vom 01.07.2001 bis 30.09.2005 gültigen SSB-Vereinbarung seien Anti-D-Immunglobuline zur Rhesusprophylaxe als Arzneimittel für Notfälle und zur Sofortanwendung zu Lasten des SSB verordnungsfähig. Aufgrund des vom Beigeladenen zu 8) beschriebenen Einsatzbereichs sei eine zulässige Verwendung dieser Mittel als SSB aber nicht erkennbar. Bei einem Schwangerschaftsabbruch handele es sich um einen planbaren Eingriff, so dass die Verordnung der Rhesusprophylaxe in diesem Fall als Einzelverordnung zu erfolgen habe. Da Anträge auf Wirtschaftlichkeitsprüfung, aber nicht auf Prüfung der Zulässi...

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