Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Heilmittelversorgung. podologische Therapie bei Wundheilungsstörung. Nichtvorliegen der Voraussetzung aus § 27 Abs 1 S 1 der HeilMRL führt nicht zum Leistungsausschluss. elektive Beschränkung der podologischen Behandlung auf Versicherte mit diabetischem Fußsyndrom als Verstoß gegen allgemeinen Gleichheitsgrundsatz
Orientierungssatz
1. Bei der podologischen Therapie handelt es sich um ein Heilmittel im Sinne von § 32 SGB 5. Heilmittel, die nicht nach § 34 SGB 5 von der Versorgung ausgeschlossen sind, dürfen (nach Maßgabe der HeilMRL) erbracht/angewendet werden.
2. Nach § 27 Abs 1 S 1 der HeilMRL ist die Erbringung der podologischen Therapie von der Diagnose eines diabetischen Fußsyndroms abhängig.
3. Das Nichtvorliegen dieser Voraussetzung führt nicht zum Leistungsausschluss, da die elektive Beschränkung der podologischen Behandlung in § 27 Abs 1 S 1 der HeilMRL auf Versicherte mit diabetischem Fußsyndrom aufgrund eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG) rechtswidrig und damit unwirksam ist. Es verstößt gegen Art 3 Abs 1 GG in § 27 Abs 1 S 1 der HeilMRL Personen von dieser Leistung auszuschließen, bei denen zwar kein diabetisches Fußsyndrom besteht, aber vergleichbare Risiken und Einschränkungen vorliegen.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 28.02.2018 geändert.
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 01.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2016 verurteilt, der Klägerin für die in der Zeit vom 25.02.2016 bis zum 15.08.2018 in Anspruch genommenen podologischen Behandlungen 285 EUR abzüglich gesetzlich zu leistender Zuzahlungen zu erstatten.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten für ärztlich verordnete podologische Behandlungen der Klägerin zu übernehmen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin n beiden Rechtszügen zu 2/3.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr Leistungen in Form podologischer Behandlungen zu gewähren, und die Erstattung hierfür bereits entstandener Kosten.
Die 1970 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert und lebt alleine in einem eigenen Haushalt.
Sie leidet (seit dem 16. Lebensjahr zunehmend) unter einer genetisch bedingten Ataxie mit okulomotorischer Apraxie Typ II, einer schweren sensomotorischen Polyneuropathie mit ausgeprägten trophischen Störungen und Wundheilungsstörungen im Bereich der Füße sowie (seit 2006 mit Besserung seit Ende 2018) einer chronischen Wunde im Bereich der 2. und 3. Zehe links mit rezidivierenden Wundrosen (Erysipeln) und Wundinfektionen.
Die Wundrosen/-infektionen machten in der Vergangenheit wiederholt stationäre Krankenhausaufenthalte erforderlich. Die Wunde wurde bis Ende 2018 (z.T. täglich) durch einen Pflegedienst versorgt. Aufgrund ihrer (motorischen) Einschränkungen ist die Klägerin seit 1996 auf einen Rollator und seit 1998 auf einen Rollstuhl angewiesen. In dem (noch) streitigen Erstattungszeitraum war sie nicht von der Zuzahlungspflicht befreit.
Unter dem 22.09.2015 wurden der Klägerin durch ihre behandelnde Internistin Dr. X. zur "Vermeidung von drohenden Nagelwall- und Nagelbettschädigungen sowie Hautschädigungen wie Fissuren, Ulzera und Entzündungen" Heilmittel in Form von 3 podologischen Komplexbehandlungen verordnet.
Am 01.10.2015 legte sie diese Verordnung zur Genehmigung bei der Beklagten vor.
Mit Bescheid vom gleichen Tage lehnte die Beklagte den Antrag ab. Dies sei eine neue Behandlungsmethode, die nach den von der Beklagten zwingend zu beachtenden Vorgaben der Heilmittelrichtlinien (HMR) nicht genehmigungsfähig sei.
Dagegen wandte die Klägerin mit ihrem Widerspruch ein, die podologische Komplexbehandlung sei in den HMR ausdrücklich benannt und damit keine neue Behandlungsmethode. Auch wenn dieses Heilmittel nach den Richtlinien grundsätzlich zur Behandlung eines diabetischen Fußsyndroms zum Einsatz gebracht werden solle, komme eine Anwendung im Einzelfall auch bei anderen Erkrankungen in Betracht (Bezugnahme auf SG Leipzig, Urteil vom 16.09.2008 - S 8 KR 395/06). Aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen könne sie die Nagelpflege nicht selbst vornehmen. Die Selbstversorgung berge ein ganz erhebliches Gefährdungspotential. Dem Widerspruch war ein Arztbrief der Diabetespraxis N B. GmbH vom 16.11.2015 an Dr. X. beigefügt, wonach dort eine Erkrankung an Diabetes mellitus Typ II ausgeschlossen werden konnte.
Der von der Beklagten hinzugezogene Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) kam am 09.12.2015 und 04.01.2016 zu dem Ergebnis, dass eine Kostenübernahme durch die Beklagte nicht zu erfolgen habe, weil dies nach den HMR nur bei Vorliegen eines Diabetes mellitus der Fall sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2016...