Orientierungssatz

1. Die von einer Kinderärztin verordnete tägliche Katheterisierung ist eine Maßnahme der Behandlungspflege nach § 37 Abs 2 SGB 5. Hierzu zählen alle Pflegemaßnahmen, die durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, eines der Behandlungsziele des § 27 Abs 1 S 1 SGB 5 zu erreichen (vgl ua BSG vom 19.2.1998 - B 3 P 3/97 R = SozR 3-3300 § 14 Nr 2).

2. Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege ist räumlich nicht auf den Haushalt des Versicherten oder den seiner Familie beschränkt.

3. Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege für die Einmalkatheterisierung eines unter neurogener Blasenentleerungsstörung leidenden Kindes während des Schulbesuchs ist nicht nach § 37 Abs 3 SGB 5 ausgeschlossen, denn die Übernahme der Pflege während des Schulbesuchs durch die Eltern war nicht zumutbar.

4. Die Notwendigkeit (§ 12 Abs 1 SGB 5) der Einmalkatheterisierung in der Schule kann nicht mit der Begründung verneint werden, dass die Katheterisierung bei der Grundpflege im Rahmen der Pflegeversicherung berücksichtigt worden ist, so dass insoweit die alleinige Leistungspflicht der Pflegekasse besteht. Zwar soll nach dem Urteil des BSG vom 30.10.2001 - B 3 KR 2/01 R = SozR 3-2500 § 37 Nr 3) grundsätzlich ein dieselbe Maßnahme betreffender Anspruch auf häusliche Krankenpflege entfallen, wenn die krankheitsspezifische Pflegemaßnahme zum Grundpflegebedarf nach § 14 Abs 4 SGB 11 zu zählen ist, weil sie entweder untrennbarer Bestandteil einer Katalogverrichtung ist oder mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang steht. Die Voraussetzungen für die Einbeziehung der Katheterisierung zum Grundpflegebedarf liegen vor, weil diese mit der Katalogverrichtung "Blasenentleerung" untrennbar verbunden ist (vgl BSG vom 22.8.2001 - B 3 P 23/00 R = USK 2001, 84). Der Senat hält an seiner Auffassung fest, dass für eine Maßnahme der Behandlungspflege die Notwendigkeiten iS des § 12 Abs 1 SGB 5 allenfalls dann verneint werden kann, wenn die Berücksichtigung dieser Maßnahme bei der Grundpflege zu einer höheren Pflegestufe führt.

5. Die Möglichkeit einer Fremdkatheterisierung durch Angehörige ist kein Grund, generell die Einmalkatheterisierung als verordnungsfähige Maßnahme auszuschließen.

6. Der völlige Ausschluss der Einmalkatheterisierung in den Krankenpflege-RL ist mit dem in §§ 27 Abs 1 S 1, 37 Abs 2 SGB 5 verbürgten Anspruch auf Krankenbehandlung unter Einschluss häuslicher Krankenpflege unvereinbar und damit unbeachtlich.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 31.10.2003 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte den Eltern der Klägerin 63,49 Euro zu erstatten hat. Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer täglichen Katheterisierung der Klägerin während des Schulbesuchs.

Bei der ... 1994 geborenen Klägerin besteht eine angeborene thorako-lumbale Spina bifida (angeborene Spaltbildung an einem Teil der Wirbelsäule), die u.a. eine neurogene Blasenentleerungsstörung zur Folge hat. Die Blasenentleerung erfolgt durch regelmäßige Katheterisierung, die im häuslichen Bereich von den Eltern durchgeführt wird.

Die Klägerin erhielt im streitigen Zeitraum (Oktober bis Dezember 2002) Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II. Nach dem Pflegegutachten vom 05.06.2002 bestand im Bereich der Grundpflege ein behinderungsbedingter Bedarf im Umfang von 145 Minuten täglich. Das Katheterisieren wurde bei der Verrichtung "Blasenentleerung" im Umfang von 21 Minuten täglich bei der Grundpflege berücksichtigt.

Die rollstuhlpflichtige Klägerin hatte seit Mai 1998 einen Kindergarten besucht und war dort täglich durch einen Pflegedienst katheterisiert worden. Seit Sommer 2001 besucht sie eine Regelschule, die etwa 3,9 km von der Familienwohnung entfernt liegt. Auch dort wurde die Katheterisierung zunächst durch einen Pflegedienst durchgeführt. Gestützt auf Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) hatte die Beklagte seit Mai 1998 bis zuletzt zum 30.09.2002 die jeweils für ein Quartal verordnete Katheterisierung übernommen, seit dem 01.04.2000 im Umfang von zweimal täglich.

Mit Schreiben vom 27.08.2002 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Einmalkatheterisierung keine Leistung der häuslichen Krankenpflege sei. Es handele sich um eine grundpflegerische Leistung, die von der Pflegeversicherung abzudecken sei. Außerdem stehe der Leistungsgewährung entgegen, dass die Katheterisierung nicht im Haushalt erbracht werde. Letztmalig erfolge die Leistungsgewährung bis 30.09.2002. Die Klägerin legte Widerspruch ein und beantragte mit einer Verordnung der Kinderärztin K vom 17.09.2002 die Gewährung der Katheterisierung im Umfang von zweimal täglich/fünfmal wöchentlich für d...

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