Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneimittelregress. Regressfestsetzung nach Insolvenzeröffnung richtet sich an Insolvenzschuldner. Regressverbindlichkeiten aufgrund Überschreitung der Richtgrößenvolumina. keine Masseforderungen bzw. Verbindlichkeiten. Vertragspartner. Vereinbarung. Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten. keine Verpflichtung der Prüfgremien zum Abschluss einer individuellen Richtgrößenvereinbarung. kein Raum mehr für Vereinbarung nach § 106 Abs 5a S 4 SGB 5 bei abgeschlossenem Verfahren vor Prüfungsausschuss bzw Prüfstelle. Insolvenzforderung. Zusammensetzung der Patientengruppe. Darlegungslast des Vertragsarztes

 

Orientierungssatz

1. Eine Regressfestsetzung wegen Überschreitung der Richtgrößen im Arzneimittelbereich nach Insolvenzeröffnung richtet sich als neue Forderung gegen den Insolvenzschuldner; eine Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle scheidet aus (vgl OLG Celle vom 7.1.2003 - 16 U 156/02 = ZInsO 2003, 128). Hiervon zu trennen ist die Frage nach der Durchsetzbarkeit der Forderung.

2. Regressverbindlichkeiten aufgrund Überschreitung der Richtgrößenvolumina stellen keine notwendigen Ausgaben zur Erzielung von Einnahmen aus der vertragsärztliche Tätigkeit und damit auch keine Masseforderungen bzw -verbindlichkeiten dar (vgl LSG Essen vom 15.5.2013 - L 11 KA 147/11 = ZInsO 2013, 2383.

3. Nur den Vertragspartnern ist in § 106 Abs 5a S 5 SGB 5 aufgegeben, in Vereinbarungen die Maßstäbe zur Prüfung der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten zu bestimmen.

4. Zur Anerkennung von Praxisbesonderheiten eines Vertragsarztes.

5. Die Prüfgremien sind nicht verpflichtet, dem zu prüfenden Vertragsarzt von sich aus den Abschluss einer individuellen Richtgrößenvereinbarung anzubieten oder in sonstiger Weise hierauf hinzuwirken.

6. Für die Anwendung des § 106 Abs 5a S 4 SGB 5 besteht kein Raum mehr, wenn das Verfahren vor dem Prüfungsausschuss bzw der Prüfungsstelle abgeschlossen ist.

 

Normenkette

SGB V § 106 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5a, 5d, § 84 Abs. 6; InsO §§ 35, 38, 41 Abs. 1, § 87

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 15.07.2015; Aktenzeichen B 6 KA 30/14 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 02.11.2011 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger und der Beigeladene zu 8) tragen die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu je ½ als Gesamtschuldner.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Arzneimittelregresses wegen Überschreitung der Richtgrößen in den Quartalen I/2005 bis IV/2005.

Der Kläger ist als praktischer Arzt in E niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit Beschluss des Amtsgericht (AG) E vom 01.02.2003 - xx IN xx/01 - wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beigeladene zu 8) zum Insolvenzverwalter bestellt. Eine Freigabe des Vermögens aus der selbständigen Tätigkeit als Arzt erfolgte nicht. Mit Beschluss des AG vom 25.02.2010 wurde dem Antragsteller die Restschuldbefreiung erteilt; die Schlussverteilung wurde noch nicht vollzogen, sodass das AG das Insolvenzverfahren bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens noch nicht aufgehoben hat.

In den streitgegenständlichen Quartalen rechnete der Kläger zwischen 779 und 819 Behandlungsfälle ab, womit die durchschnittlichen Fallzahlen der Fachgruppe um 27 % bis 29 % unterschritten wurden. Die Honoraranforderungen überstiegen die durchschnittlichen Fallkosten der Fachgruppe um 11 % bis 36 %. Bei der Anforderung von Sprechstundenbedarf lagen Überschreitungen der durchschnittlichen Fallkosten der Fachgruppe um 13 % bis 317 % vor. Die Verordnungen von Heilmitteln unterschritten im Quartal II/2005 um 3,6 %. In den übrigen Quartalen ergaben sich Überschreitungen der durchschnittlichen Fallkosten um 18 % und 25 %. Das ermittelte Richtgrößenvolumen für Arzneimittel in Höhe von 187.789,39 EUR überschritt der Kläger mit Verordnungskosten von 387.391,43 EUR um 106,29 %. Der Prüfungsausschuss setzte daraufhin mit Beschluss vom 20.06.2007, ausgefertigt als Bescheid am 30.07.2007, einen Regress in Höhe von 91.928,63 EUR fest.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 13.08.2007 Widerspruch ein. Er machte Ausführungen zu einzelnen Medikamenten und überreichte für das IV. Quartal 2005 Auszüge aus einer Patientenliste mit Verordnungen, Buchungsdaten und Diagnosen. Teilweise waren auch Befund- und Entlassungsberichte beigefügt. Er vertrat die Auffassung, dass sich aus den angegebenen Diagnosen die Therapieindikation ergebe.

Mit Bescheid vom 05.02.2008 reduzierte der Beklagte den Regress auf 90.840,13 EUR. Er stellte u.a. fest, dass die vom Kläger aufgeführten Einzelfallschilderungen besonders kostenintensiver Patienten unsubstantiiert vorgetragen seien. Beide Bescheide wurden ausschließlich dem Kläger und nicht auch dem Beigeladenen zu 8) zugestellt.

Mit seiner am 05.03.2008 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Die Rechtswidrigkeit des Bescheides folge daraus, dass die dem Regress zu...

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