Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwertbarkeit eines medizinischen Sachverständigengutachtens durch das Gericht

 

Orientierungssatz

1. Zur Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 SGB 6 müssen die medizinischen Voraussetzungen für den Leistungsanspruch nachgewiesen sein. Der Rentenanspruch ist ausgeschlossen, wenn der Versicherte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch sechs Stunden arbeitstäglich verrichten kann.

2. Ein ärztliches Sachverständigengutachten zur Erwerbsfähigkeit des Versicherten ist nur dann gerichtlich verwertbar, wenn es die medizinisch-rechtlichen Voraussetzungen eines sozialgerichtlichen Verfahrens erfüllt. Dies ist u. a. dann nicht der Fall, wenn es in Aufbau, Gliederung und inhaltlicher Gedankenführung schwere Mängel aufweist. Ein Sachverständigengutachten, in welchem Akteninhalte, subjektive Probandenangaben, Diagnosen, theoretische Referate über Erkrankungen und Schmerzsyndrome vermengt werden, ist als Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung ungeeignet.

3. Der Antrag, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zum Termin zu laden ist u. a. dann zurückzuweisen, wenn er nicht rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung gestellt worden ist (BSG Urteil vom 7. 2. 2013, B 13 R 71/12 B).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 11.07.2017; Aktenzeichen B 5 R 342/16 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.08.2013 wird zurückgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Weiterbewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) über den 31.07.2010 hinaus.

Der am 00.00.1957 geborene Kläger ist promovierter Maschinenbauingenieur und war zuletzt als Fachgebietsleiter Organisation in einer Unternehmungsberatung abhängig beschäftigt. Seit dem Jahr 2006 ist er arbeitsunfähig. Das Versorgungsamt hat bei ihm einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 festgestellt.

Der Kläger beantragte am 18.07.2008 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung unter Hinweis auf ein Gutachten seiner privaten Krankenversicherung (Allianz) vom 10.07.2008, in dem er ab 09.07.2008 als berufsunfähig angesehen wurde.

Die Beklagte ließ ihn durch den Neurologen und Psychiater Dr. H untersuchen, der den Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung äußerte und ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom ohne neurologisches Defizit feststellte. Er empfahl eine medizinische Rehabilitation und anschließende psychotherapeutische und orthopädische Therapie. Bis dahin meinte er, könne kein Leistungsbild erstellt werden (Gutachten vom 19.08.2008). Nach Einholung einer Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. S vom 29.08.2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 27.11.2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.02.2009 befristet bis zum 31.07.2010.

Mit seinem Antrag auf Weiterzahlung vom 28.12.2009 legte der Kläger einen Arztbrief der Lungenklinik I vom 05.11.2009 vor, in dem von einem schwergradig obstruktiven Schlaf-Apnoe-Syndrom und der Einleitung einer Maskentherapie berichtet wurde. Des Weiteren übersandte er einen Kurzbefund des Orthopäden Dr. T vom 16.09.2009, einen MRT-Bericht des Schädels der Gemeinschaftspraxis für Radiologie und Nuklearmedizin Dres. B u.a. vom 24.08.2009 sowie einen dortigen CT-Bericht der Lendenwirbelsäule vom 29.09.2009.

Die Beklagte ließ den Kläger durch die Orthopädin Dr. von B1 sowie den Neurologen und Psychiater Dr. X begutachten. Die Orthopädin fand ein chronisch-rezidivierendes Cervical- und Lumbalsyndrom bei Spondylolisthese L5/S1 und einen Zustand nach Morbus Scheuermann, ein Schulter-Arm-Syndrom rechtsseitig, eine beginnende medial betonte Arthrose beider Kniegelenke, einen chronischen Reizzustand beider oberer Sprunggelenke, einen Reizzustand beider Handgelenke, einen Senk- Spreizfuß beidseits sowie eine somatoforme Schmerzstörung. Fachfremd erwähnte sie Depression, Nikotinabusus, Zustand nach Borreliose, Adipositas, Bluthochdruck, Asthma und Schlafapnoe-Syndrom. Sie meinte, körperlich leichte Arbeit sei dem Kläger vollschichtig sowohl in seiner letzten Tätigkeit als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich (Gutachten vom 22.02.2010). Dr. X diagnostizierte eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine Dysthymie. Hierdurch bedingt könne die Tätigkeit in der Unternehmensberatung nur noch weniger als drei Stunden täglich ausgeübt werden. Der Kläger sei jedoch in der Lage, weniger fordernde Arbeiten, zum Beispiel in einer Büroroutineumgebung zu verrichten, auch leichte Arbeiten ohne wesentliche Belastungen des Achsenskelettes sechs Stunden und mehr zu erledigen (Gutachten vom 02.03.2010).

Nach Einholung einer Stellungnahme des Beratungsarztes T1 vom 16.04.2010 bewilligte die Beklagte den Gutachten folgend mit Bescheid vom 27.04.2010 und 30.07.2010 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit über den 31.07.2...

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