Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen einer Bemessung des Arbeitslosengeldes nach einem fiktiven Arbeitsentgelt

 

Orientierungssatz

1. Bei der Bemessung des dem Arbeitslosen zustehenden Arbeitslosengeldes ist nach § 152 Abs. 1 SGB 3 als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, wenn ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden kann.

2. Entsprechend § 152 Abs. 2 S. 1 SGB 3 sind nur diejenigen Tätigkeiten für die fiktive Bemessung relevant, mit denen der Arbeitslose bestmöglich in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden kann. Es gelten hierbei die Kriterien der §§ 35, 36 SGB 3. Nach § 35 Abs. 2 SGB 3 hat die Arbeitsagentur bei der Vermittlung die Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit des Arbeitsuchenden sowie die Anforderungen der angebotenen Stellen zu berücksichtigen.

3. Die Nahtlosigkeitsregelung nach § 145 SGB 3 schützt nur davor, dass eine Einstufung in eine gegenüber dem formalen Ausbildungsabschluss niedrigere Qualifikationsgruppe erfolgt.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 18.05.2022; Aktenzeichen B 11 AL 1/22 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 19.07.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld vom 24.04.2017 bis zum 22.05.2018. Umstritten ist zwischen den Beteiligten seine Qualifikationsgruppenzuordnung.

Der 1967 in der Türkei geborene Kläger lebt seit 1989 in Deutschland. Eine formale Berufsausbildung hat er nicht absolviert. Er arbeitete seit 1996 in einem Verpackungsunternehmen, zunächst als Maschinenhelfer, ab 1999 als Maschinenführer und ab 2006 als Schichtleiter mit einer Verantwortung für 150 Mitarbeiter. In dem Unternehmen arbeiteten überwiegend Mitarbeiter türkischer Abstammung. Gegenüber dem Sachverständigen P (Gutachten für die BG ETEM vom 01.12.2016) gab der Kläger an, dass er sich immer als Bindeglied zwischen dem Chef und den Mitarbeitern gefühlt habe. Der Kläger hat ein 1996 geborenes Kind, für das ihm im streitigen Zeitraum Kindergeld zustand.

Am 04.05.2015 erlitt der Kläger bei einem Arbeitsunfall ein Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades sowie Frakturen eines LWK und des unteren Schienbeins. Er war eine längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt und ist nicht wieder an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Auf die Anfrage der BG ETEM im Hinblick auf eine Wiedereingliederung des Klägers teilte der Arbeitgeber in einer E-Mail vom 04.11.2016 mit, dass der Kläger die bisherige Tätigkeit als Schichtleiter aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr ausüben könne. Auch bei einer leitenden Funktion in der Produktion sei es erforderlich, dauerhaft gehen und stehen zu können. Eine rein kaufmännische Tätigkeit komme für den Kläger ebenfalls nicht in Betracht, da er nicht über die entsprechende Ausbildung verfüge.

Der Kläger verdiente zuletzt im Jahr 2015 ca. 2.600 EUR brutto. Vom 16.06.2015 bis zum 23.05.2017 bezog er Verletztengeld von der BG ETEM. Im Anschluss wurde ihm von der BG mit Bescheid vom 03.08.2017 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20% iHv 372,77 EUR bewilligt. Die Rente wurde mit Bescheid vom 23.03.2018 als Dauerrente gewährt. Mit Bescheid vom 06.09.2018 erhöhte die BG die Rente für die Dauer des Arbeitslosengeldesbezuges vom 24.05.2017 bis zum 22.05.2018, so dass sie zusammen mit dem Arbeitslosengeld die Höhe des Übergangsgeldes von 1.617 EUR bzw. ab dem 01.05.2018 1.654 EUR erreichte.

Der Kläger meldete sich am 11.05.2017 mit Wirkung zum 22.05.2017 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Die Beklagte holte eine sozialmedizinische Stellungnahme des ärztlichen Dienstes vom 19.06.2017 ein. Danach konnte der Kläger noch mindestens 15 Stunden pro Woche erwerbstätig sein, jedoch nicht in dem zuletzt ausgeübten Beruf. Der Kläger stellte sich in diesem Rahmen für eine vollschichtige Tätigkeit zur Verfügung. Er unterschrieb eine Eingliederungsvereinbarung, die den Zielberuf Pförtner enthält.

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 25.07.2017 Arbeitslosengeld für den Zeitraum 24.05.2017 bis 22.05.2018 (360 Tage) iHv täglich 31,49 EUR. Dem Betrag liegt eine fiktive Bemessung zugrunde, da der Kläger in den letzten zwei Jahren weniger 150 Tage Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt habe. Maßgeblich sei die Qualifikationsgruppe 4, da der Kläger für eine Tätigkeit als Pförtner geeignet sei. Das Bemessungsentgelt betrage daher 59,50 EUR (1/600 der Bezugsgröße 2017 von 35.700 EUR). Daraus ergebe sich bei der Lohnsteuerklasse III ein Leistungsentgelt von 47 EUR und daraus bei einem Prozentsatz von 67% ein Leistungsbetrag von täglich 31,49 EUR.

Der Kläger legte gegen den Bescheid am 08.08.2017 Widerspruch ein. Die Einordnung in die Qualifikationsgruppe 4 sei falsch, da er die Tätigkeit als Schichtleiter trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch ausü...

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