Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Wahrnehmung des Umgangsrechts mit dem minderjährigen getrennt lebenden Kind. ergänzende Sozialhilfe nach § 73 SGB 12. Fahrtkosten. Antragstellung beim unzuständigen Leistungsträger. Erfüllungsfiktion des § 107 SGB 10
Orientierungssatz
1. Leistungen können nach § 73 SGB 12 auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Hierzu zählt die Ausübung des Umgangsrechts bei wirtschaftlicher Bedürftigkeit des Elternteils. Dabei handelt es sich um einen nach Art 6 Abs 2 GG verfassungsrechtlich geschützten Bedarf.
2. Unschädlich ist, wenn der Antrag zunächst bei einem unzuständigen Leistungsträger gestellt wird. Dieser ist nach § 16 Abs 2 SGB 1 verpflichtet, ihn unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten.
3. Die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB 10 setzt das Bestehen eines Erstattungsanspruchs nach § 105 SGB 10 voraus. Dieser besteht gegenüber den Trägern der Sozialhilfe nur von dem Zeitpunkt an, zu dem ihnen bekannt war, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorlagen. Stets kommt es dabei auf eine tatsächliche Kenntnis an; eine nur zugerechnete Kenntnis genügt nicht.
Tenor
Die Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 23.08.2007 wird zurückgewiesen. Der Tenor des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 23.08.2007 wird klarstellend wie folgt neu gefasst: Die Beigeladene wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23.08.2007 verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Gewährung von Fahrtkosten für Besuche seines Sohnes in A für die Zeit vom 13.01.2006 bis 30.06.2006 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Die Beigeladene trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren. Eine weitergehende Kostenerstattung findet zwischen den Beteiligten nicht statt. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, welcher Leistungsträger die Kosten zu tragen hat, die dem Kläger aufgrund der Wahrnehmung seines Umgangsrechts mit seinem minderjährigen getrennt lebenden Kind entstanden sind.
1. Der Kläger ist 1965 geboren. Er ist der Vater des am 00.00.1993 geborenen Kindes N D. Dieser lebte im Jahre 2006 bei seiner Mutter in A in Sachsen-Anhalt. Mit ihr schloss der Kläger am 20.07.2005 vor dem Amtsgericht A (Familiengericht) eine "vorläufige Umgangsvereinbarung". Ziffer 1 dieser Umgangsvereinbarung lautet:
"Der Antragsgegner [der Kläger] hat das Recht, den Umgang mit seinem Kind N, geb. 00.00.1993, 14-tägig an einem Wochentag für etwa 2 - 3 Stunden in Begleitung von Frau C, Erziehungsberatungsstelle des Paritätischen Wohlfahrtverbandes A, gemäß vorheriger Absprache der Parteien mit Frau C wahrzunehmen.
Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit, dass diese Umgangsvereinbarung, beginnend am 20.08.2005, für etwa sechs Monate gelten soll."
2. Der Kläger bezieht seit dem 01.01.2005 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von der Beklagten. Die Beklagte ging dabei davon aus, dass der Kläger und Frau H T eine Bedarfsgemeinschaft bilden.
Am 28.12.2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme seiner Fahrtkosten, die ihm durch die Wahrnehmung seines Umgangsrechts mit seinem Sohn N D entstehen. Der Kläger begehrte für die "Wahrnehmung des Umgangsrechts" Leistungen "in Höhe von 255,67 EUR/Monat bis auf Weiteres". Der Preis für eine Zugfahrt mit der Deutschen Bahn AG von E nach A und zurück betrage 118,00 EUR. Bei "Zugrundelegung von vorläufig 13 Umgangsterminen in sechs Monaten [entstehe] ein Sonderbedarf i.H.v. 255,67 EUR/Monat". Nachdem der Kläger auf einen bevorstehenden Termin hingewiesen hatte, übernahm die Beklagte mit Bescheid vom 04.01.2006 die "angemessenen Fahrtkosten" für die Fahrt am 13.01.2006 nach A im Rahmen eines Darlehens gemäß § 23 Abs. 1 SGB II. Die Beklagte wies den Kläger darauf hin, dass sie "vor Antritt der Fahrt über die Höhe der Kosten in Kenntnis zu setzen" sei.
Hiergegen erhob der Kläger am 06.01.2006 Widerspruch. Dieser richtete sich gegen die (nur) darlehensweise Übernahme der Fahrtkosten. Der Kläger trug zudem vor, dass die Anordnung nicht praktikabel sei, vor jeder einzelnen Fahrt eine gesonderte Fahrtkostenübernahme zu beantragen. Denn die Umgangsvereinbarung sehe einen regelmäßigen zweiwöchigen Besuchsrhythmus vor.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2006 zurück. Das SGB II sehe hinsichtlich der Fahrtkosten keinen Mehr- oder Sonderbedarf vor. Es komme deshalb nur die Übernahme der Fahrtkosten in Form eines Darlehens gemäß § 23 Abs. 1 SGB II in Betracht.
3. Zeitgleich mit der Erhebung seines Widerspruchs beantragte der Kläger mit Schreiben vom 06.01.2006 die "Übernahme der fortlaufend anstehenden Fahrtkosten zur Wahrnehmung des gerichtlich titulierten Umgangsrechts unter psychologischer Betreuung in 14-tägiger Intervalle, konkret stattfindend am 27.01.2006, am...