Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Gegenstandswert. Zusammenrechnen mehrerer selbständiger verfahren. rechtliche Gemeinsamkeit. Untätigkeitsklage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die selbe Angelegenheit iS des § 7 Abs 2 BRAGebO kann in der Regel nicht mehrere selbständige Verfahren umfassen. Von diesem Grundsatz gibt es eng begrenzte Ausnahmen, wobei es vor allem auf Inhalt und Form der anwaltlichen Tätigkeit sowie auf die rechtliche Gemeinsamkeit angefochtener Bescheide ankommt.

2. Wenn sich ein Unternehmen in einem Widerspruchsverfahren gegen den Gefahrtarif der Berufsgenossenschaft und in anderen Widerspruchsverfahren gegen Beitragsbescheide in der gesetzlichen Unfallversicherung wendet, handelt es sich bei einer den Gefahrtarifbescheid betreffenden Untätigkeitsklage im Verhältnis zu Untätigkeitsklagen bezüglich der Beitragsbescheide nicht um dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 7 Abs 2 BRAGebO.

3. Der Gegenstandswert der Untätigkeitsklage beträgt bei erheblicher Dauer der Nichtbescheidung in der Regel 25% des Beschwerdewertes einer Klage gegen die Bescheide des Versicherungsträgers.

 

Tatbestand

Umstritten ist die Höhe des Gegenstandswertes für die Verfahren des Sozialgerichts (SG) Mainz Az S 6 U 96/99, S 6 U 97/99, S 6 U 98/99 und S 6 U 103/99.

Die Beschwerdegegnerin ist auf dem Gebiet der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung tätig. Mit Bescheid vom 5.1.1996 wurde sie von der Beschwerdeführerin für die Zeit von 1995 bis 1999 neu zum Gefahrtarif veranlagt. Dagegen legte die Beschwerdegegnerin Widerspruch ein. Sie erstrebte ausweislich ihrer Widerspruchsbegründung die Festsetzung der von der Beschwerdeführerin für das Jahr 1995 festgelegten Gefahrklasse 12,80 für die in der Gefahrtarifstelle 24 erfassten Tätigkeiten auch für die Zeit ab 1.1.1996.

Mit Bescheid vom 26.4.1996 legte die Beschwerdeführerin die Beitragsschuld für 1995 auf 632.435,-- DM fest. Unter dem 25.4.1997 erhob sie für 1996 einen Beitrag von 840.169,87 DM. Mit Bescheid vom 27.4.1998 setzte sie für das Jahr 1997 die Beitragsschuld auf 1.152.055,79 DM fest. Auch gegen diese Bescheide legte die Beschwerdegegnerin Widerspruch ein. Sie begehrte jeweils die Herabsetzung der "Gefahrenklasse" (gemeint ist: der Beitragsschuld) um 50 %, hilfsweise um 10 %.

Am 28.4.1999 hat die Beschwerdegegnerin, nachdem die Beschwerdeführerin die eingelegten Widersprüche immer noch nicht beschieden hatte, drei Untätigkeitsklagen beim SG Mainz erhoben. Die Klage S 6 U 96/99 hat den Widerspruch gegen den Bescheid vom 26.4.1996, die Klage S 6 U 97/99 den Widerspruch gegen den Bescheid vom 5.1.1996 und die Klage S 6 U 98/99 den Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.4.1997 betroffen. Am 6.5.1999 hat die Beschwerdegegnerin Untätigkeitsklage hinsichtlich des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 27.4.1998 erhoben (Az S 6 U 103/99).

Nachdem die Beschwerdeführerin die ausstehenden Widerspruchsbescheide erlassen hatte, hat sie sich bereit erklärt, der Beschwerdegegnerin die außergerichtlichen Kosten der Rechtsstreite zu erstatten.

Am 25.1.2000 hat das SG den Gegenstandswert der Verfahren auf zusammen 588.311,-- DM festgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Im Falle einer Untätigkeitsklage halte sich das wirtschaftliche Interesse in einem Rahmen von 10-25 % des vollen Betrages des wirtschaftlichen Interesses an der Hauptsache. Im vorliegenden Fall sei es angemessen, von der oberen Grenze des Rahmens, nämlich von 25 % auszugehen, weil die Beschwerdeführerin die Bescheiderteilung in erheblichem Umfang verzögert habe. Ausgehend davon errechne sich für das Verfahren S 6 U 96/99 ein Gegenstandswert von 143.489,-- DM (25 % von 573.965,52 DM), für das Verfahren S 6 U 98/99 ein Gegenstandswert von 185.195,-- DM (25 % von 740.782,71 DM) und für das Verfahren S 6 U 103/99 ein Gegenstandswert von aufgerundet 259.627,-- DM (25 % von 1.038.507,67 DM). Unerheblich sei, dass das Antragsbegehren nur auf eine Herabsetzung des Beitrags um 50 % bzw 10 % gerichtet gewesen sei. Angesichts der bundesweit geführten und letztlich noch völlig offenen gerichtlichen Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit des Gefahrtarifs der Beschwerdeführerin sei es sachgerecht, "von dem tatsächlich gestellten Hauptantrag" (gemeint ist die volle, nicht auf 50 % reduzierte Beitragsforderung) auszugehen. Wegen des Fehlens eines darüber hinausgehenden wirtschaftlichen Interesses komme ein weiterer Gegenstandswert wegen des Verfahrens S 6 U 97/99 nicht in Betracht. Die errechneten Gegenstandswerte seien nach § 7 Abs 2 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) zusammenzurechnen, weil sämtliche Verfahren "in derselben Angelegenheit" ergangen seien; sie hätten nämlich die Frage der Veranlagung und Beitragszahlung im gleichen Veranlagungszeitraum (Jahre 1995 bis 1997) betroffen; würde man die Gegenstandswerte getrennt ansetzen, so würde die Beschwerdegegnerin hinsichtlich des hier maßgebenden, sich überschneidenden wirtschaftlichen Interesses unangemessen begünstigt.

Gegen diesen ihr am 8.2.2000 z...

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