Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben durch den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Hilfsmittel zur Berufsausübung. täglich mehrfach höhenverstellbarer Schreibtisch. Beiladung. Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung iSd § 75 Abs 2 Alt 1 SGG
Leitsatz (amtlich)
Ein täglich mehrfach höhenverstellbarer Schreibtisch (sog Steh-Sitzdynamik) kann ein dem Versicherten von der gesetzlichen Rentenversicherung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (§§ 9, 16 SGB VI, 33 Abs 8 S 1 Nr 4 SGB IX) zu verschaffendes Hilfsmittel zur Berufsausübung darstellen.
Orientierungssatz
1. Die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung iSd § 75 Abs 2 Alt 1 SGG ist nur dann gegeben, wenn durch die Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingegriffen wird. Notwendig ist die Identität des Streitgegenstandes in Verhältnis beider Hauptbeteiligter zu dem Dritten und es reicht nicht aus, wenn lediglich die tatsächlichen Verhältnisse eine einheitliche Entscheidung erfordern (vgl BSG vom 24.10.2013 - B 13 R 35/12 R = SozR 4-2600 § 118 Nr 12).
2. Ein täglich mehrfach höhenverstellbarer Schreibtisch ist Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Die Gewährung eines solchen als Leistung nach den Vorschriften der medizinischen Rehabilitation scheidet daher aus.
3. Ein täglich mehrfach höhenverstellbarer Schreibtisch stellt keine technische Arbeitshilfe nach § 33 Abs 8 S 1 Nr 5 SGB 9 dar.
4. Es besteht keine allgemeine Verpflichtung von Arbeitgebern zur Ausstattung von Arbeitsplätzen mit höhenverstellbaren Schreibtischen, die ein wechselseitiges Arbeiten im Sitzen und im Stehen ermöglichen.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 18.11.2014 wird zurückgewiesen. Es wird klargestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger einen täglich mehrfach höhenverstellbaren Schreibtisch für seinen Arbeitsplatz zu verschaffen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, wer die Kosten der Ausstattung des Arbeitsplatzes des Klägers mit einem täglich mehrfach höhenverstellbaren Schreibtisch zu tragen hat.
Der 1964 geborene Kläger ist 196 cm groß und privat bei der H - … -Krankenversicherung AG krankenversichert. Er hat den Beruf eines Versicherungskaufmanns erlernt und ist seit 1991 bei der H - … Haftpflicht-Unterstützungskasse a.G. (Arbeitgeber) als Kundenbetreuer im Geschäftsstellenkundendienst versicherungspflichtig beschäftigt. Seine Arbeitszeit beträgt täglich 7,36 Stunden und seine Tätigkeit wird ausschließlich im Innendienst in sitzender Haltung mit Publikumsverkehr, Bildschirmarbeit und Telefonbenutzung ausgeübt. Vom Arbeitgeber ist sein Arbeitsplatz mit einem nicht höhenverstellbaren Schreibtisch ausgestattet sowie mit einem Schreibtischstuhl mit verstellbarer Rückenlehne. Der Arbeitgeber hat es abgelehnt, sich an den Kosten für die Anschaffung eines täglich mehrfach höhenverstellbaren Schreibtisches zu beteiligen. Der Kläger ist nicht schwerbehindert und auch nicht einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Bei ihm bestehen degenerative Veränderungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule.
Der Kläger beantragte im Februar 2013 bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und verwies darauf, dass er an einem Schreibtisch arbeiten müsse, welcher nicht an seine Größe angepasst sei. Außerdem legte er eine Bestellvorlage des Arbeitgebers vor, wonach ein elektromotorisch höhenverstellbarer (von 65 cm bis 123 cm) Schreibtisch mindestens 907,76 Euro, ein Premium-Container mit Einrichtung für Schubladen 347,62 Euro sowie Abbau, Abtransport und Entsorgung des vorhandenen Arbeitstisches 186,00 Euro, jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer, kosten würde. In einer betriebsärztlichen Stellungnahme der Dr. G -G vom 20.06.2012 war ausgeführt, dass sein Arbeitsplatz in keinster Weise seiner Körpergröße von 196 cm angepasst werden könne und bereits Beschwerden wegen der unergonomischen Arbeitshaltung eingetreten seien.
Die Beklagte zog einen Befundbericht bei Dr. G -G vom 07.02.2013 bei und lehnte den Antrag durch Bescheid vom 18.03.2013 ab. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei nicht erheblich gefährdet oder gemindert, weil er in der Lage sei, seine Beschäftigung als Versicherungskaufmann weiterhin auszuüben. Eine orthopädische Arbeitsplatzausstattung sei nicht erforderlich und eine ergonomische Arbeitsplatzausstattung sei aufgrund der Arbeitsschutzgesetzgebung Aufgabe des Arbeitgebers. Im Widerspruchsverfahren verwies der Kläger auf eine Stellungnahme der Dr. G -G vom 04.04.2013 und auf ein Attest des Dr. B vom 25.03.2013. Die Beklagte zog eine Stellungnahme ihrer Beratungsärztin Dr. S -K bei und wies den Widerspruch am 29.07.2013 zurück.
Der Kläger hat am 29.08.2013 Klage bei dem Sozialgericht Koblenz (SG) erhoben, auf seine Wirbelsäulenbeschwerden und Varizen verwiesen und ei...