Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenübernahme bzw -erstattung des Arzneimittels "Iscover" im Rahmen des § 13 Abs 3a SGB 5
Orientierungssatz
Zum Anspruch eines Versicherten auf Übernahme bzw Erstattung der Kosten für das Arzneimittel "Iscover" im Rahmen des § 13 Abs 3a SGB 5.
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 2.5.2017 sowie der Bescheid der Beklagten vom 4.5.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.7.2015 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen der Selbstbeschaffung des Medikaments Iscover 935,23 € zu erstatten und ihn künftig mit diesem Arzneimittel ohne Begrenzung auf den Festbetrag zu versorgen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist ein Anspruch auf Übernahme bzw Erstattung der Kosten für das Medikament Iscover .
Der 1949 geborene Kläger, bei der Beklagten krankenversichert, beantragte mit Schreiben vom 12.4.2015 (per Fax am gleichen Tag eingegangen) bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für das Medikament Iscover. Er gab an, bereits 2010 habe ihm der Arzt Dr T erklärt, dass nur dieses Medikament verordnet werden solle, was jetzt auch der Arzt Dr W bestätigt habe. Der Kläger fügte dem Antrag eine ärztliche Verordnung des Dr W vom 1.4.2015 sowie Stellungnahmen des Dr T vom 19.4.2015 und des Dr W vom 10.4.2015 bei. Letzterer hatte angeführt, der Kläger befinde sich seit August 2000 in neurologischer Behandlung; diagnostisch seien zwei idiopathische rechtshirnige Ischämien aufgetreten; bereits im Jahre 2000 sei in der K Klinik A aufgrund bekannter ASS-Allergie erfolgreich Plavix bzw Iscover eingesetzt worden; bis heute sei keine neue cerebrale Ischämie aufgetreten; im Jahre 2010 habe die Hausärztin des Klägers Iscover auf ein generisches Clopidogrel-Präparat umgestellt; hierdurch sei es zu Durchfall und Hautblutungen gekommen, die nach Rückkehr zum Originalpräparat binnen weniger Tage sistiert seien; zu Iscover gebe es demnach keine Alternative; eine Umstellung auf verfügbare Generika würde zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen und könnte potentiell lebensbedrohliche Komplikationen hervorrufen.
Die Beklagte schaltete den Medizinischen Dienst (MDK) ein. Sie informierte den Kläger hierüber nicht. In ihrer Stellungnahme vom 24.4.2015 führte die Ärztin im MDK Dr P aus, die begehrte Kostenübernahme könne nicht befürwortet werden. Eine solche setze voraus, dass der Versicherte alle in Betracht kommenden Festbetragsmedikamente versucht habe und diese eine Verschlimmerung der Erkrankung oder eine neue Erkrankung verursacht hätten. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Zwar hätten die Nebenwirkungen des verabreichten Clopidogrel-Generikums die Qualität einer behandlungsbedürftigen Erkrankung erreicht und die Ursächlichkeit der Pharmakotherapie für die Nebenwirkungen sei anhand der vorliegenden Angaben anzunehmen. Auf dem Markt gebe es aber zahlreiche Clopidogrel-Generika ohne Mehrkosten; in der Lauer-Taxe seien insgesamt 22 dieser Generika aufgeführt; beim Kläger seien nicht alle zum Einsatz gekommen.
Durch Bescheid vom 4.5.2015 lehnte die Beklagte darauf gestützt die begehrte Kostenübernahme ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf Kostenübernahme der Mehrkosten für das Arzneimittel Iscover , da nicht alle auf dem Markt zum Festbetrag erhältlichen Clopidogrel-Generika zum Einsatz gekommen seien.
Zur Begründung seines mit Schreiben vom 29.5.2015 eingelegten Widerspruchs legte der Kläger eine Stellungnahme des Dr W vom 22.5.2015 vor, worin es heißt: In Anbetracht der Vorgeschichte sei es aus seiner Sicht mit einem medizinisch nicht vertretbaren gesundheitlichen Risiko verbunden, sämtliche verfügbaren Generika probatorisch einzusetzen. Es drohe eine zusätzliche behandlungsbedürftige Krankheit.
Dazu veranlasste die Beklagte eine Stellungnahme des Arztes im MDK Dr S vom 15.6.2015, der sich im Wesentlichen der Auffassung der Ärztin Dr P anschloss; medizinisch sei nicht eindeutig zu klären, ob es durch den Einsatz von Generika zu einer behandlungsbedürftigen Krankheit bzw Verschlimmerung einer bereits bestehenden Krankheit gekommen sei. Durch Widerspruchsbescheid vom 22.7.2015 wies die Beklagte den Widerspruch im Hinblick auf die Äußerungen des MDK zurück.
Am 4.8.2015 hat der Kläger Klage erhoben und vorgetragen, dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3.7.2012 (B 1 KR 22/11 R) könne nicht die Aussage entnommen werden, dass es für die Vollversorgung ohne Begrenzung auf den Festbetrag stets erforderlich sei, alle Präparate mit dem gleichen Wirkstoff auszuprobieren. Der Kläger hat Rechnungen über selbst getragene Mehrkosten vorgelegt. Die Beklagte hat eine Liste der verordneten Arzneimittel vorgelegt und ua vorgetragen, eine Meldung über aufgetretene Nebenwirkungen an die Arzneimittelkommission lieg...