Leitsatz (amtlich)
Die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des erkennenden Senats, nach der ein asylsuchender Ausländer in aller Regel mangels eines gewöhnlichen Aufenthalts im Geltungsbereich des BKGG vor rechtskräftiger Asylgewährung keinen Anspruch auf Kindergeld hat, bedarf einer Einschränkung für den Fall, daß der Asylbewerber die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile von 1983-08-02 – AZ.: 9 C 599/81 und 9 C 600/81 –) ausreichenden Voraussetzungen der Regelvermutung für die Anerkennung als politischer Flüchtling erfüllt und darüber hinaus selbst im Falle rechtskräftiger Ablehnung seines Asylantrags nach der im Lande Rheinland-Pfalz bestehenden Verwaltungspraxis aus humanitären Gründen mit einer zeitlich unbeschränkten Aufenthaltserlaubnis rechnen kann, weil er 1976 als syrisch-orthodoxer Christ aus der Provinz Mardin (Türkei) in die Bundesrepublik geflohen ist.
Normenkette
BKGG § 1 Nr. 1 Fassung 1975-01-01
Verfahrensgang
SG Mainz (Urteil vom 19.11.1982; Aktenzeichen S 4 Kg 5/82) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 19. November 1982 abgeändert und der Bescheid des Arbeitsamtes Mainz vom 18. November 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 1981 aufgehoben.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit der Berufung wendet sich der Kläger weiterhin gegen die Entziehung des Kindergelds (Kg) für seine beiden ehelichen Kinder Maria, geboren am … 1977, und Claudia, geboren am … 1980 ab Juli 1980.
Der 1958 geborene Kläger und seine Ehefrau sind türkische Staatsangehörige. Beide sind syrisch-orthodoxe Christen. Sie stammen aus M. in der Provinz Mardin. Er ist von Beruf Schneider und hat daneben von der Landwirtschaft gelebt. Sie ist Hausfrau. Sie kamen am … 1976 mit einem am 25. August 1976 in Mardin ausgestellten türkischen Familienpaß in die Bundesrepublik. Zunächst begaben sie sich nach W., wo ein Cousin des Klägers lebt. Nach einer erkennensdienstlichen Behandlung in W. wegen des Verdachts illegalen Aufenthalts stellten sie am 14. bzw. 28. September 1976 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Z. einen förmlichen Asylantrag. Zur Begründung machten sie geltend, im Zuge der Reislamisierungswelle in der Türkei hätten sie als Angehörige der syrisch-orthodoxen Minderheit große Schwierigkeiten im beruflichen und öffentlichen Leben gehabt. Diese seien durch die christlich-moslemischen Auseinandersetzungen im Libanon in den letzten Monaten vor Ihrer Ausreise sehr verstärkt worden. Immer wieder, wenn irgendwo Konflikte zwischen Moslems und Christen entstanden seien, wie z.B. auf Zypern oder im Libanon, hätten die Moslems sie angegriffen.
Das Bundesamt lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 6. Mai 1977 ab. Dieser Bescheid ist noch nicht bindend. Die Kreisverwaltung Mainz-Bingen hat dem Kläger deshalb den weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik gemäß §§ 20, 28 des Asylverfahrensgesetzes (AsylverfG) für die Dauer des Asyl Verfahrens gestattet.
Mit Bescheiden vom 30. November 1977 und 8. April 1980 gewährte das Arbeitsamt Mainz dem Kläger, ohne zu wissen, daß er Asylbewerber ist, zunächst für beide Kinder von Geburt an Kg. Ab Juli 1980 stellte es die Zahlung vorläufig ein, nachdem der Kläger bei der in diesem Monat durchgeführten routinemäßigen Anspruchsüberprüfung u.a. eine Bescheinigung der Kreisverwaltung Mainz-Bingen über den von ihm und seiner Ehefrau gestellten Asylantrag vorgelegt hatte. Mit Bescheid vom 18. November 1980 und Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 1981 entzog das Arbeitsamt dem Kläger das Kg gemäß §§ 22, 1 Nr. 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) in Verbindung mit § 30 Abs. 3 des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuchs (SGB I) ab Juli 1980, weil er nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als Asylbewerber nur einen vorübergehenden, aber noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik habe.
Mit der Klage hat der Kläger, wie schon im Widerspruchsverfahren, geltend gemacht, er fühle sich als syrisch-orthodoxer Christ in der Türkei aus religiösen und politischen Gründen verfolgt. Inzwischen sei bereits mehreren syrisch-orthodoxen Christen aus der Türkei rechtskräftig Asylrecht zuerkannt worden. Es sei deshalb davon auszugehen, daß sein Asylantrag ebenfalls Erfolg haben werde. Abgesehen davon, halte er sich bereits seit 1976 in der Bundesrepublik auf. Er arbeite hier und zahle Steuern wie jeder in der Bundesrepublik lebende Bürger. Infolgedessen sei schon durch Zeitablauf ein gewöhnlicher Aufenthalt gegeben. Nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) gelte allenfalls ein Aufenthalt bis zu einem Jahr als vorübergehend, jeder längere Aufenthalt dagegen als gewöhnlich. Ohne gewöhnlichen Aufenthalt hätte er weder im Asylverfahren noch im vorliegenden Fall bei den für seinen Aufenthaltsort zuständigen Gerichten Klage erheben können. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, nac...