Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht. Student. Erscheinungsbild Beurlaubung. Fortbestehende Immatrikulation. Erwerbstätigkeit

 

Orientierungssatz

1. Setzt ein weiterhin immatrikulierter Student mit dem Studienbetrieb aus und ist er in dieser Zwischenzeit voll erwerbstätig, so ist die Beziehung zum Studium so weitgehend gelockert, daß seine Eigenschaft als Student jedenfalls im sozialversicherungsrechtlichen Sinne verloren gegangen ist. Zur Aufrechterhaltung dieser Eigenschaft genügt nicht der formale Status als Student aufgrund des fortbestehenden Studienverhältnisses.

2. Es spielt keine Rolle, auf welchen Gründen die Beurlaubung beruht, ob auf dem freien Willen des Studenten oder - wie hier - auf einem gleichsam disziplinarischen Zwang.

 

Verfahrensgang

SG Mainz (Urteil vom 20.06.1991; Aktenzeichen S 5 K 63/90)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.09.1992; Aktenzeichen 12 RK 24/92)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 20.6.1991 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger während eines Urlaubssemesters versicherungspflichtig oder versicherungsfrei beschäftigt war.

Der 1965 geborene Kläger war nach dem Abitur im Juni 1985 zunächst versicherungsfrei als Praktikant tätig und von Oktober 1985 bis Februar 1986 versicherungspflichtig beschäftigt, bevor er am 1.3.1986 das Studium der Elektrotechnik an der Fachhochschule W. aufnahm. Er war seit diesem Zeitpunkt bei der Beklagten als Student pflichtversichert. Wegen einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem Dozenten wurde ihm ein Hausverbot erteilt, das bei fortbestehender Immatrikulation zu seiner Beurlaubung für das Wintersemester 1988/89 (1.9.1988 bis 28.2.1989) führte. In dieser Zeit konnte er am Studienbetrieb nicht teilnehmen. Diesen nahm er im Sommersemester 1989 wieder auf.

Während der Zeit der Beurlaubung war der Kläger vollschichtig erwerbstätig zunächst vom 11.10. bis zum 26.12.1988 bei der Firma W.-P.-Service GmbH in M. und danach vom 2.1. bis zum 24.2.1989 bei der Firma P.-Service GmbH in M..

Beide Arbeitsverhältnisse waren unbefristet. Für beide Zeiträume wurden Gesamtversicherungsbeiträge (zur Arbeiterrentenversicherung, zur Bundesanstalt für Arbeit und zur Krankenversicherung) abgeführt.

Im Mai 1989 forderte der Kläger von der Beklagten die Arbeitnehmeranteile zurück mit der Begründung, er sei nicht versicherungspflichtig gewesen, weil er den Status als Student behalten habe. Er sei weiterhin immatrikuliert gewesen und habe das Studium nach der aufgezwungenen Beurlaubung sofort fortgesetzt. Die Beurlaubung sei genauso zu behandeln wie die Zeit der Semesterferien, in denen ebenfalls keine Versicherungspflicht bestehe. Nach der vom Bundessozialgericht geforderten vorausschauenden Betrachtungsweise sei er seinem Erscheinungsbild nach weiterhin Student geblieben. Es habe für ihn festgestanden, daß er den Studienbetrieb nach dem Urlaubssemester wieder aufnehme und daß somit die Erwerbstätigkeit lediglich der Überbrückung der Zeit bis dahin dienen sollte. Die Dauer der Tätigkeit sei also von vornherein begrenzt gewesen.

Die Beklagte stellte durch Bescheid vom 1.8.1989 und Widerspruchsbescheid vom 11.6.1990 fest, daß der Kläger in der fraglichen Zeit versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Sie stützte sich dabei u.a. auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.7.1971 – 3 RK 68/68 –, wonach eine während der Unterbrechung des Studiums ausgeübte Beschäftigung der Versicherungspflicht unterliege ohne Rücksicht darauf, daß die Immatrikulation weiterbestanden habe. Eine Gleichstellung mit Semesterferien sei nicht möglich.

Im Klageverfahren hat der Kläger geltend gemacht, der Vergleich mit Semesterferien sei hier durchaus angebracht, weil es sich um ein in der Studienordnung vorgesehenes Urlaubssemester gehandelt habe, so daß das Studium im Gegensatz zu dem zitierten Urteil nicht unterbrochen worden sei.

Durch Urteil vom 20.6.1991 hat das Sozialgericht Mainz die Klage abgewiesen. Eine Beurlaubung sei mit Semesterferien nicht vergleichbar. In der Zeit der Beurlaubung sei der Student im Gegensatz zu den festen Ferienzeiten auf seinen Wunsch hin von den Studienanforderungen freigestellt. Daher habe er während des Urlaubssemesters, in dem er einer vollen Erwerbstätigkeit nachgehe, nicht mehr das Erscheinungsbild eines Studenten, sondern das eines Arbeitnehmers.

Gegen das am 16.7.1991 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5.8.1991 die Berufung eingelegt. Er hält an seiner Auffassung fest, daß er auch während der Beurlaubung Student und deswegen versicherungsfrei gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 20.6.1991 sowie den Bescheid vom 1.8.1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.6.1990 aufzuheben und festzustellen, daß er während seiner Erwerbstätigkeiten im Urlaubssemester 1988/89 versicherungsfrei gewesen ist.

Die Beklagte und die beigeladenen Versic...

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