Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopferentschädigung. sexueller Missbrauch in der Jugend. schizophrene und affektive Psychosen. Verschlimmerung nach Trennung von Bezugspersonen. ursächlicher Zusammenhang. Zweifel. traumatisierender Nachschaden. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Besondere individuelle Umstände. Anpassungsstörung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Kausalitätsbeurteilung ist auf die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie auf die Einzelpersönlichkeit abzustellen.

2. Bestehen Zweifel, ob schon vor der Gewalttat Krankheitssymptome vorhanden waren (sog Vorschäden) oder ob andere Ursachen die Krankheit herbeigeführt haben, so geht das nicht zu Lasten des Opfers.

3. Nachträgliche Gesundheitsstörungen, die in ihrem gesundheitlichen Erscheinungsbild nicht durch die Schädigungsfolgen beeinträchtigt sind, die vielmehr mit der Schädigung nur über ihre Auswirkungen auf die MdE verbunden sind, werden als Nachschäden dem schädigenden Ereignis nicht zugerechnet.

 

Orientierungssatz

Zur Zuerkennung eines Grads der Schädigungsfolgen (GdS) bei schizophrenen und affektiven Psychosen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten nach Teil B Nr 3.6 der in der Anlage zu § 2 VersMedV geregelten Versorgungsmedizinischen Grundsätze (hier Traumafolgestörung nach schwerem sexuellen Missbrauch in der Jugend, verstärkt durch Versterben bzw Trennung von Bezugspersonen).

 

Normenkette

OEG § 1 Abs. 1; BVG § 1 Abs. 3, § 30 Abs. 1

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil Sozialgerichts Speyer vom 25.08.2011 insoweit aufgehoben, als der Beklagte zur Gewährung von Versorgung nach einem GdS von mehr als 70 bis 31.12.2008 verurteilt worden ist. Insoweit wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

2. Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt der Beklagte 2/3 der Kosten des Klageverfahrens sowie die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Gewährung von Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Die im Jahre 1972 geborene Klägerin beantragte im August 2010 die Gewährung von Versorgung nach dem OEG und gab an, sie sei im Alter von 8 bis 14 Jahren regelmäßig von ihrem Großvater, ihrem Onkel und einem Nachbarn sexuell missbraucht und vergewaltigt worden und leide seit dem unter einer Vielzahl von Gesundheitsstörungen.

Das Amt für soziale Angelegenheiten zog die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft L gegen die Täter bei, wo die Klägerin im August 2008 umfangreich vernommen worden war. Dort hatte sie geschildert, zunächst im Alter zwischen acht und zehn Jahren von den inzwischen verstorbenen Nachbarn H R ca. einmal wöchentlich missbraucht worden zu sein. Im Jahre 1981 sei sie bei einem Besuch bei den Großeltern im Schwarzwald durch ihren Onkel ca. 4- bis 5-mal vergewaltigt worden. Das habe sich jedes Mal wiederholt, wenn sie zu Besuch im Schwarzwald gewesen sei, zuletzt als sie elf Jahre alt gewesen sei. Ihr Großvater habe, als sie zeitweise im gleichen Bett wie er habe schlafen müssen, sich mit seinem erigierten Glied an sie gedrückt. Als sie 14 Jahre alt gewesen sei, habe sie einige Tage bei ihrem Onkel A gewohnt, weil sie nicht im Schwarzwald bei den Großeltern habe wohnen wollen. Der habe nachts teilweise unter die Decke an ihre Brust gegriffen. Sie sei dann weggelaufen und habe auf der Straße gelebt, nicht mehr zuhause gewohnt und sei dann in ein Kinderheim gekommen. Im Alter von 14 Jahren habe sie versucht, mit ihrer Mutter über diese Vorkommnisse zu reden, worauf diese erklärt habe, sie sei selbst von ihrem Vater missbraucht worden. Eine Beschuldigtenvernehmung des Großvaters A S durch die Staatsanwaltschaft scheiterte daran, dass dieser mittlerweile in einem Pflegeheim lebte und nach Auskunft des Pflegeheims eine Vernehmung nicht durchführbar sei. Der geistige Zustand des A S würde dem eines 5- jährigen entsprechen. Die Kriminalpolizei O teilte mit, A S sei zwischen 1984 und 1993 mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern angezeigt worden.

Das Ermittlungsverfahren gegen beide Beschuldigte wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt, da hinsichtlich A S erhebliche Zweifel an der Schuld- und Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten beständen. Dieser sei zudem bereits 1993 von Amtsgericht E wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Hinsichtlich des Beschuldigten A S sei die Tat im Dezember des Jahres 2000 verjährt.

Die Mutter der Klägerin, H G , schilderte in einer schriftlichen Auskunft, dass sie aus eigener Wahrnehmung nicht sagen könne, dass ihre Tochter ihr aber von den Vorgängen erzählt habe. Die Zeugin B R gab an, sie sei eine Kinderfreundin der Klägerin gewesen. Der A S habe auch einmal versucht, an ihr herumzugrabschen, sie mit dem Rücken auf sein Auto gedrückt, sein Genital an ihr gerieben und sie mit der anderen Hand nach unten gedrückt, damit sie nicht wegkomme. Sie sei aber entkommen. Als sie das T g...

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