Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsarzt. Zulassungsentziehung. Vorliegen einer gröblichen Pflichtverletzung. Gewichtung. Wohlverhalten

 

Orientierungssatz

1. Eine Pflichtverletzung ist gröblich, wenn sie so schwer wiegt, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist. Davon ist dann auszugehen, wenn durch sie das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit der Abrechnungen durch den Vertragsarzt so gestört ist, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden kann (vgl BSG vom 20.10.2004 - B 6 KA 67/03 R = SozR 4-2500 § 95 Nr 9 mwN).

2. Einem "Wohlverhalten" des Vertragsarztes während des Streits über die Zulassungsentziehung kommt ein geringeres Gewicht zu, als schwer wiegende Pflichtverletzungen in der Vergangenheit, die zur Zulassungsentziehung geführt haben. Wie ein "Wohlverhalten" zu berücksichtigen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles (vgl BSG vom 20.10.2004 - B 6 KA 67/03 R aaO).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 31.10.2006; Aktenzeichen B 6 KA 40/06 B)

 

Tatbestand

Umstritten ist die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Zulassung des Klägers zur vertragsärztlichen Versorgung.

Der 1950 geborene Kläger ist seit 1983 als Internist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und als Hausarzt tätig. Über sein Vermögen wurde am 31.8.2004 gemäß §§ 21, 22 Insolvenzordnung (InsO) die vorläufige Verwaltung angeordnet.

Durch rechtskräftiges Urteil vom 10. Juni 2003 (Az 6014 Js 7308/00 4 KLs) wurde der Kläger vom Landgericht (LG) Kaiserslautern wegen unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln in 28 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Außerdem wurde ihm für die Dauer von drei Jahren untersagt, Zubereitungen von bestimmten näher genannten Betäubungsmitteln oder zur Substitution zugelassene Arzneimittel zu verschreiben, zu verabreichen, zum unmittelbaren Gebrauch zu überlassen oder abzugeben. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Nach den Feststellungen des LG Kaiserslautern hatte der Kläger in der Zeit von Dezember 1998 bis Mai 2000 einer Vielzahl von Patienten das Arzneimittel Orlaam, ein Levacetylmethadol enthaltendes Opiat-Analgeticum, zur substitutionsgestützten Behandlung verschrieben. Das LG führte in seinem Urteil aus, der Kläger habe es in unentschuldbarer Weise versäumt, die zur sicheren Feststellung einer Opiatabhängigkeit erforderlichen Erhebungen und Untersuchungen vollständig durchzuführen und die bestimmungsgemäße Verwendung zu kontrollieren; zudem habe der Kläger die substitutionsgestützten Behandlungen pflichtwidrig nicht ausreichend dokumentiert.

Im Anschluss an das Strafverfahren beantragten die Beigeladenen zu 1), 6) und 7) beim zuständigen Zulassungsausschuss, dem Kläger die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zu entziehen. Der Zulassungsausschuss gab dem Antrag mit Beschluss vom 16.6.2004 statt und führte zur Begründung aus: Der Kläger habe seine vertragsärztlichen Pflichten grob fahrlässig verletzt und sich dadurch als ungeeignet zur weiteren Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung erwiesen. Diese Ungeeignetheit ergebe sich vor allem aus den Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, die zu der Verurteilung durch das LG Kaiserslautern geführt hätten. Durch sein Fehlverhalten habe er das Vertrauensverhältnis zur Beigeladenen zu 1) und den Krankenkassen nachhaltig zerstört.

Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch hat der Kläger ua vorgetragen: Zu seinen Gunsten zu berücksichtigen sei, dass er mittlerweile 55 Jahre alt und seit 27 Jahren als Arzt tätig sei; eine Zulassungsentziehung würde dazu führen, dass ihm jegliche wirtschaftliche Existenz entzogen würde. Er müsse fünf unterhaltsberechtigte Kinder ernähren, die sich noch in Ausbildung befänden. Der Zulassungsausschuss habe verkannt, dass das LG Kaiserslautern von einem Berufsverbot deshalb abgesehen habe, weil erhebliche Verfehlungen in der Zukunft nicht zu erwarten seien. Auch ohne Genehmigung zur vertragsärztlichen Substitutionsbehandlung habe er auf privatärztlicher Basis Substitutionsbehandlungen durchführen dürfen.

Der Beklagte hat den Widerspruch durch Beschluss vom 2.2.2005 zurückgewiesen und zur Begründung ua dargelegt: Die Voraussetzungen für eine Entziehung der Zulassung zum Vertragsarzt gemäß § 95 Abs 6 Satz 1 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) seien erfüllt. Dem Kläger seien im Zusammenhang mit den von ihm vorgenommenen Substitutionsbehandlungen in mehrfacher Hinsicht gröbliche Verletzungen seiner Pflichten als Vertragsarzt vorzuwerfen. Obwohl er nicht über die Genehmigung der Beigeladenen zu 1) für die Substitutionsbehandlung verfügt habe, habe er die insoweit durchgeführten Behandlungen dieser gegenüber abgerechnet. Er habe so gut wie keine der Voraussetzungen einer Substitutionsbehandlung (vgl. Seite 8 f des angefochtene...

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