Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Anspruch auf Krankengeld. Verlegung des Wohnorts ins EU-Ausland. kein Ruhen nach § 16 SGB 5. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bleibt wirksam
Leitsatz (amtlich)
1. Art 21 Abs 1 VO (EG) 883/04 (juris: EGV 883/2004) geht § 16 SGB V vor.
2. Eine in Deutschland getroffene Feststellung von Arbeitsunfähigkeit verliert grundsätzlich nicht dadurch ihre Wirkung, dass der Versicherte sich danach überwiegend im EU-Ausland aufhält.
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 1.12.2015 sowie die Bescheide der Beklagten vom 24.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.6.2012 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Krankengeld für die Zeit vom 27.10.2011 bis zum 19.6.2012 zu gewähren.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist ein Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 27.10.2011 bis zum 19.6.2012.
Die 1970 geborene, bei der Beklagten bis zum 30.4.2014 krankenversicherte Klägerin war als Busfahrerin beschäftigt. Ab dem 22.4.2011 attestierten ihre behandelnden Ärzte ihr Arbeitsunfähigkeit. Die Beklagte zahlte ihr nach Ablauf der Entgeltfortzahlung für die Zeit ab dem 4.6.2011 Krankengeld. Am 16.9.2011 stellte der Arzt für Innere Medizin Dr C Arbeitsunfähigkeit bis auf weiteres wegen unklarer Synkopen fest. Die Beklagte gewährte der Klägerin daraufhin Krankengeld bis zum 26.10.2011. Am 26.10.2011 bestätigte Dr C fortlaufende Arbeitsunfähigkeit bis auf weiteres wegen Synkopen (plötzlich einsetzende Bewusstlosigkeit). Mit Schreiben vom 21.10.2011 und 17.11.2011 bat die Beklagte die Klägerin unter Hinweis auf ihre Mitwirkungspflichten um telefonischen Rückruf; anderenfalls werde sie das Krankengeld versagen.
Mit Bescheid vom 24.11.2011 versagte die Beklagte das Krankengeld ab diesem Tag, da die Klägerin der in ihrem Schreiben vom 17.11.2011 geäußerten Bitte, sich bis zum 23.11.2011 bei ihr telefonisch zu melden, nicht nachgekommen sei. Mit Bescheid vom gleichen Tag teilte sie der Klägerin mit: “Sie informierten uns, dass Sie nach Spanien umgezogen sind. Ein Anspruch auf Krankengeld besteht in diesem Fall nicht mehr, da Sie nach § 16 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nur Anspruch auf Leistungen haben, solange Sie sich in Deutschland aufhalten.„ Mit Schreiben vom 5.12.2011 (mit Anschrift in P de Bara/Spanien) widersprach die Klägerin der Einstellung des Krankengeldes. Mit Schreiben vom 9.1.2012 teilte die Beklagte der Klägerin auf deren Widerspruch mit, der Anspruch ruhe nach § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V während eines Auslandsaufenthaltes.
Durch Widerspruchsbescheid vom 11.6.2012 wies die Beklagte den Widerspruch gegen “den Bescheid vom 24.11.2011„ zurück. Zur Begründung führte sie aus: Gegenstand des Widerspruchsverfahrens sei der Anspruch auf Krankengeld über den 23.11.2011 hinaus. Nach § 30 SGB I Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) gälten die Vorschriften der SGB für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich hätten. Die Klägerin habe ihren Wohnsitz in Spanien, mithin nicht im Anwendungsbereich der deutschen Sozialgesetzbücher. Bei der Klägerin fehle es an dem lückenlosen Nachweis von Arbeitsunfähigkeit “bis heute„. Darüber hinaus habe sie, die Beklagte, Hinweise darauf, dass die Klägerin in Spanien einer Tätigkeit nachgehe. Auch dies würde gegen Arbeitsunfähigkeit sprechen. Ungeachtet dessen ruhe der Leistungsanspruch während eines Auslandsaufenthalts nach § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V. Der Auslandsaufenthalt der Klägerin habe spätestens am 23.11.2011 begonnen, da dies der Zeitpunkt sei, an dem sie, die Beklagte, durch eine telefonische Mitteilung der Klägerin Kenntnis über deren Aufenthaltsort erlangt habe. Das Leistungsruhen sei damit kraft Gesetzes am 23.11.2011 eingetreten. § 16 Abs 4 SGB V komme nicht zur Anwendung, da sie einem Auslandsaufenthalt nicht zugestimmt habe; dieser werde auch nicht nachträglich genehmigt. Auch auf Art 17 bis 35 Verordnung (VO) (EG) 883/2004 bzw Art 22 bis 32 VO (EG) Nr 987/2009 könne sich die Klägerin nicht stützen. Ein Anspruch auf dieser Grundlage würde voraussetzen, dass die Klägerin einen entsprechenden Krankengeldanspruch nach deutschem Recht habe, was jedoch nicht der Fall sei. Nach Art 22 Abs 1 lit c VO (EWG) 1408/71 hätten Versicherte ua einen Anspruch auf Geldleistungen bei Krankheit, insbesondere Krankengeld, gegen den zuständigen Träger, sofern durch diesen eine Genehmigung zum Auslandsaufenthalt trotz Arbeitsunfähigkeit erteilt worden sei. Eine entsprechende Genehmigung liege nicht vor. Mithin könne die Klägerin auch aus dieser Vorschrift keinen Anspruch auf Krankengeld herleiten.
Am 28.6.2012 hat die Klägerin Klage erhoben. Ihr Arbeitsverhältnis hatte zuvor am 19.6.2012 geendet. Die Klägerin hat vorgetragen: Wegen der am 6.6.2011 erlittenen Synkope habe sie nicht mehr in ihrem Beruf als Busfahrerin arbeiten dürfen....