Entscheidungsstichwort (Thema)
Kniegelenkschäden. Autogen-Schweißer
Leitsatz (amtlich)
Nicht nur Untertagearbeiter (nach mindestens 3 Jahren) können sich als Berufskrankheit zu entschädigende Meniskusschäden – und Folgeschäden, etwa Gonarthrose – zuziehen, sondern auch Übertagearbeiter je nach Art und Dauer der Überbeanspruchung ihrer Kniegelenke, so beispielsweise Autogen-Brenner nach über 15-jähriger Berufstätigkeit.
Normenkette
RVO § 551 Abs. 1-2; BKVO - Anlage 1 Nr. 2102
Verfahrensgang
SG Speyer (Urteil vom 11.11.1982; Aktenzeichen S 2 U 382/81) |
Tenor
1. Das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 11. November 1982 wird geändert. Der Bescheid vom 25. Februar 1981 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, bei dem Kläger eine vorwiegend exentrisch-mediale Gonarthrose beiderseits, am rechten Knie beginnend, am linken Knie fortgeschritten, bei Schädigung des Innenmeniskus links, wie eine Berufskrankheit mit einer MdE um 10 % ab 13. Juli 1977 und um 15 % ab 1. Januar 1983 anzuerkennen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die in beiden Rechtszügen entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der 1923 geborene Kläger arbeitete 1937 als Platten- und Fliesenleger, ab 1938 als Elektroschweißer bei der Firma D. in Z. (damals noch: D.-Werke), wurde 1939 Soldat und ab 1945 als Kriegsgefangener im Radiumbergbau der Tschechoslowakei eingesetzt. Nach seiner Heimkehr im Jahre 1949 wurde er noch knapp drei Jahre wieder als Elektroschweißer verwendet. Seit 1952 war er als Autogen-Brenner beschäftigt. Der technische Aufsichtsbeamte J. beschreibt in seinem Bericht vom 21. September 1978 die damalige Tätigkeit des Klägers u.a. folgendermaßen: Aus etwa 6 m langen und 2 m breiten Blechtafeln unterschiedlicher Materialstärke werden durch den Vorzeichner angerissene Teile autogen mit einem sogenannten Secator der Firma M. ausgeschnitten. Dabei handelt es sich u.a. um Abwicklungen von Sektoren für Rohrkrümmer, Kegel und ähnliches. Die Blechtafeln liegen etwa in Tischhöhe waagerecht auf Unterlagen. Die Schnittkonturen sind kurvenförmig, so daß der Secator in seiner Schneidrichtung ständig umgesteuert und die Brennerflamme zur Erzeugung einer scharfen Kante für die V-Naht immer wieder umgestellt werden muß. Diese Tätigkeiten werden auf der kalten Stahlblechplatte kniend und rückwärts rutschend täglich über längere Zeiten ausgeführt (etwa 40 bis 50 % der Arbeitszeit).
Die nach Angaben des Klägers ungefähr 1970/71 begonnenen Kniegelenkbeschwerden nahmen bis Februar 1977 dermaßen zu, daß er sich in ärztliche Untersuchung und Behandlung begab. Mitte des Jahres wurde in der Chirurgischen Abteilung des E. Krankenhauses Z. am linken Knie eine Meniskusoperation ausgeführt. Den Befund „typische Meniskuszeichen” mit Schmerzen in beiden Kniegelenken meldete der Beklagten im Dezember 1977 der Orthopäde Dr. T. als Berufskrankheit. In seinem Bericht vom 21. September 1978 führte der technische Aufsichtsbeamte J. ferner aus: Zur Polsterung und Isolierung gegen das kalte Blech seien früher aus Putzwolle und sonstigen Materialien Kissen angefertigt worden, damit die Knie nicht so schmerzten. Mittlerweile sei zwar ein ausgesprochener Knieschutz beschafft worden. Dieser werde jedoch unterschiedlich beurteilt. In gewissen Situationen soll er hinderlich sein und leicht zu Stürzen führen, insbesondere beim Absteigen von der Blechplatte. Der Art nach handle es sich um die gleichen Ursachen, denen die unter Nr. 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung erfaßten Kniegelenksschäden der Bergleute zugeschrieben würden. Der Staatliche Gewerbearzt Dr. K. in M. teilte in seiner Stellungnahme vom 9. Mai 1979 der Beklagten mit: Er teile die Ansicht des technischen Aufsichtsdienstes. Bei einer Novellierung der Berufskrankheitenverordnung sollte die Nr. 2102 neu formuliert werden. Bisher habe der Hinweis auf eine Erkrankung gemäß § 551 Abs. 2 RVO keinen Erfolg gehabt, weil diese Erkrankungen nicht neuen medizinischen Erkenntnissen entsprächen. Dagegen meinte in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 28. April 1980 der Chirurg Dr. med. habil. L. in S.: Trotz unbequemer Haltungsnotwendigkeiten bei der Berufsarbeit auch über Tage sei diese mit der Gesamtheit aller Schwierigkeiten der Untertageverhältnisse nicht vergleichbar. Durch Bescheid vom 25. Februar 1981 lehnte die Beklagte eine Entschädigung als Berufskrankheit ab: Auch aufgrund des § 551 Abs. 2 RVO sei eine Entschädigung nicht möglich, weil keine neuen Erkenntnisse hinsichtlich des beruflichen Ursachenzusammenhanges vorlägen. Nach einer weiteren Stellungnahme des Staatlichen Gewerbearztes Dr. K. vom 27. Juni 1980 seien derartige Schäden auch in anderen Berufen als denen der Bergleute seit langem bekannt, z.B. bei professionellen Fußballspielern.
Den am 16. März 1981 eingegangenen Widerspruch hat die Beklagte gemäß § 85 Abs. 4 SGG als Klage an das Sozialgericht Speyer weitergeleitet. Auf dessen klageabweisenden Vorbescheid vom 12. Januar 1982 hat der Kläger im gleichen ...